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Seelenrächer

Seelenrächer

Titel: Seelenrächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G O'Carroll
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meinem Großvater haben die Offiziere ihre Uhren immer nach der von Shea gestellt.«
    Ihr Wagen stand noch da, wo sie ihn geparkt hatten – im absoluten Halteverbot, das magnetische Blaulicht auf dem Armaturenbrett. Doyle hatte den Schlüssel. In null Komma nichts saß er am Steuer, während Quinn das Blaulicht aufs Dach klatschte.
    Doyle gab Vollgas. Gleich nach der Brücke bogen sie links ab. Doyle schaltete im Eiltempo die Gänge hoch. Viel zu schnell rasten sie durch die Canal Road, an einer langen Reihe parkender Autos vorbei. Nach dem Wehr wurde die Straße breiter, und Doyle trat das Gaspedal durch. Mit heulender Sirene passierten sie die Landsdowne Road und steuerten in nördlicher Richtung auf die Kanal-Docks zu. Dort drückte Doyle erneut auf die Tube, und sie rasten über die Brücke und umrundeten die Windhund-Rennbahn am Shelbourne Park.
    Während sie auf Irishtown zufuhren, saß Quinn nach vorne gebeugt auf dem Beifahrersitz, die Knie an der Brust und eine Faust an den Zähnen. Er musste daran denken, wie ihm seine Töchter zum Abschied zugewinkt hatten. Vor seinem geistigen Auge tauchten für einen Moment ihre Gesichter auf. Dann sah er plötzlich Danny in der Tolka fischen. Am Tag vor seinem Tod.
    Er sah Eva vor sich, an dem Abend, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren – und der Mann, der sie nun vielleicht ermordet hatte, neben ihr auf der Bank saß.
    Sie rasten durch Irishtown auf Poolbeg und das Naturschutzgebiet bei Shelley Banks zu. Der strenge Wind ließ das Meer kabbelig aussehen. Ihr Weg führte sie nun die Küstenstraße entlang, vorbei an alten und neuen Industriegebäuden, bis sie schließlich in der Ferne die Überreste jener verlassenen Eisenhütte erahnen konnten, die laut Harry Long früher als Shea’s bekannt gewesen war. Viel war davon nicht mehr übrig – nur eine Handvoll verwitterter Gebäude hinter einem zusammengefallenen Stacheldrahtzaun.
    Auf der anderen Straßenseite begann der Strand – eine große Sandfläche, auf der am Montag Suchtrupps ausgeschwärmt waren wie frisch geschlüpfte Fliegen. Am Tor stieg Doyle so heftig auf die Bremse, dass Quinn fast durch die Windschutzscheibe geflogen wäre. Sekunden später war Quinn bereits aus dem Wagen gesprungen, kämpfte sich durch den Stacheldraht und rannte über den mit Pfützen übersäten Hof auf die halb verfallenen Gebäude zu. Über ihm befand sich eine große alte Uhr mit einem eckigen Zifferblatt. Ihre Zeiger hatten die elf bereits hinter sich gelassen.
    Er begann den Namen seiner Frau zu rufen. »Eva!«, rief er. »Eva! Eva!«
    Unter den Dielen, dem Teppich und den Streifen alten Linoleums war ihr Gesicht angeschwollen, und sie hatte inzwischen Hände wie aus Wachs, weil sie kaum noch durchblutet waren. Sie spürte sie ebenso wenig wie den Rest ihres Körpers, und Durst hatte sie auch keinen mehr. Ihr war bewusst, dass das Leben langsam aus ihr wich, doch sie konnte dem durchaus etwas Schönes abgewinnen. Schon vor langer Zeit hatte sie aufgehört, an ihre Kinder zu denken. Sie dachte auch nicht mehr an ihren Mann oder an ihre Mutter und ihre Schwestern. Ebenso wenig dachte sie noch an den Mann, der sie hierhergebracht hatte.
    Sie konnte keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen. Ihr schwirrte nur noch ein Mischmasch aus Bildern durch den Kopf: was gewesen war und was vielleicht noch kommen würde.
    Sie fragte sich, wo sie wohl hinging. Ihr war klar, dass sie am Rand des Abgrund stand, und sie war schon gespannt, ob es auf der anderen Seite nur Dunkelheit geben würde oder aber schöne Farben, wie manche Leute behaupteten.
    Sie wollte es wissen. Sie wollte gehen und es selbst herausfinden. Danny war vorausgegangen, und sie war sicher, dass er nach ihr gerufen hatte. Er wollte, dass sie zu ihm kam. Wenn dem so war, dann gab es dort bestimmt auch Licht und Farbe.
    Gerade rief wieder jemand nach ihr. Sie hörte eine Stimme: Eva, Eva-Marie. Sie war Eva-Marie, und jemand rief ihren Namen. Demnach gab es also mehr als nur Dunkelheit. Ja, bestimmt.
    War das Danny, den sie da hörte?
    Nein, dass konnte nicht sein. Danny würde nicht ihren Namen rufen. Er würde sie Mammy oder vielleicht auch Mam nennen, aber nicht Eva.
    Sie öffnete die Augen und blickte hoch.
    Die Dunkelheit war durchbrochen: ihr Grab aus Teppich und Linoleum, die Dielen aus halb verrottetem Holz.
    Sie konnte sich nicht bewegen, aber was auch immer ihren Mund bedeckt hatte, wurde entfernt, und sie spürte, wie starke Arme sie aus dem Reich der Toten

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