Seelenrächer
aufgeben. Wir können Eva finden. Überleg doch mal: Bei den anderen Morden kam nie etwas von ihm, keine einzige Silbe. Dann entführt er Eva, und plötzlich nimmt er Kontakt mit uns auf.« Er dachte einen Moment nach, ehe er fortfuhr: »An dem Tag, als das Verfahren eingestellt wurde, saß sie im Gerichtssaal und trug seine Kette. Wir waren die ganze Zeit der Meinung, er hätte das als eine Art Zeichen interpretiert, sozusagen als Annäherungsversuch, aber in Wirklichkeit verhielt es sich ganz anders: In Maggs’ Augen war sie nicht mehr würdig, die Kette zu tragen.«
Quinn spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich.
»Vor langer, langer Zeit«, fuhr Doyle fort, »war sie einmal seine große Liebe gewesen. Sie musste bestraft werden, doch wollte er nicht für ihren Tod verantwortlich sein.«
»Du meinst, um seine kranke Psyche und sein schlechtes Gewissen zu beschwichtigen, musste er uns eine Chance geben?« Quinn nickte vor sich hin. »Und falls wir sie tatsächlich rechtzeitig finden sollten, wäre er nicht in Gefahr, weil wir bis dahin ja längst Hanrahan oder Patrick einkassiert hätten.«
»Genau. Er würde ungeschoren davonkommen. Was bedeutet, dass wir immer noch eine Chance haben.«
»Aber Doyle.« Quinn spürte wieder Panik in sich hochsteigen. » Eins ist eins und ganz allein und wird es immer sein .«
»Ich weiß, ich weiß. Daran musste ich auch schon denken. Eva wird allerdings nur dann für immer allein bleiben, wenn wir sie nicht finden.«
Quinn dachte einen Moment über Doyles Worte nach. Als er dann wieder etwas sagte, klang es, als spräche er mit sich selbst: »Seine Mutter hatte keine Ahnung, wer sein Vater war. Soweit Maggs es beurteilen konnte, war ihr das auch völlig gleichgültig. Er war ihr völlig gleichgültig. Das war der Auslöser: die Tatsache, dass sie selbst nach seiner Geburt nicht aufgehört hatte, die Beine für jeden breit zu machen, der das Geld für eine Flasche auf den Tisch legen konnte. Den Rest besorgte Jimmy mit seinem Polaroid-Foto: Dadurch wurde aus einem zornigen Teenager endgültig ein Psychopath.«
An der Wohnungstür tat sich etwas. Als sie sich umblickten, bemerkten sie, dass Murphy in die Diele getreten war. »Mit Mary lag der Fall anders«, fuhr Doyle fort. »Die ganze Zeit haben wir sie nicht mit den anderen fünf Frauen in Verbindung gebracht, weil wir davon ausgingen, dass niemand von ihrer Schwangerschaft wusste. Der Witz an der Sache ist, dass Maggs tatsächlich nichts davon wusste. Aber am Abend des Fleadh Cheoil war Molly Parkinson betrunken, und Paddy hatte Maggs eine reingewürgt – wie es alle taten, wenn sich die Gelegenheit bot. Und Eva saß daneben, ohne ihn zu verteidigen.«
Quinn nickte nachdenklich. »Mary hat ihn an sie erinnert. Sie sah aus wie Eva, als sie noch jünger war: Ihr langes Haar hatte die gleiche Farbe, und sie hatte auch die gleiche Augenfarbe. Die beiden unternahmen eine Spritztour. Bei der Gelegenheit muss Maggs begriffen haben, wie er es Jimmy heimzahlen konnte. Trotzdem war Eva seine große Jugendliebe. Du hast recht, Joseph. Das bedeutet, dass wir immer noch eine Chance haben.«
Doyle trat ins Wohnzimmer. Sein Blick wanderte vom Fernseher über das Bücherregal zum CD-Schrank.
»Carrigafoyle. Wir müssen etwas übersehen haben. Es muss noch einen anderen Hinweis geben.«
»Uns bleibt keine Zeit mehr«, gab Quinn zu bedenken. »Es sind schon über zweiundsiebzig Stunden vergangen. Wenn sie gefesselt ist und in der Kälte liegt …«
»Sie hält schon noch eine Weile durch«, unterbrach ihn Doyle in scharfem Ton. Sein Blick schweifte hinaus zu Murphy, die ihnen von der Diele aus zusah. »Sie ist stark. Schließlich hat sie zwei Töchter, für die sie am Leben bleiben muss. Sie wurde vom Grab ihres Sohnes entführt, nachdem sie ihre zwei kleinen Töchter zu Hause allein gelassen hatte. Stellt euch vor, was das für einen Überlebenswillen bei ihr ausgelöst haben muss. Wir kennen sie doch, Moss. Wir wissen, wie sie ist. Sie wird nicht aufgeben. Sie wird kämpfen wie ein Löwin. Das liegt ihr im Blut. Sie ist eine Doyle, Herrgott noch mal!«
Quinn fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Er muss ihr auf dem Friedhof aufgelauert haben. Er kannte sie ziemlich gut. Er muss gewusst haben, dass es sie noch einmal zu Danny ziehen würde.«
»Deswegen brauchte er nur zu warten«, bestätigte Doyle, »und als der richtige Zeitpunkt gekommen war, schnappte er sie sich. Am nächsten Morgen ließ er dich wissen, dass
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