Seelenschacher
sprach in seiner Muttersprache auf den anderen ein, der natürlich nur seine eigene beherrschte. Dazwischen fielen immer wieder ein paar Wortfetzen in Deutsch. Irgendwie schienen sich alle zu verstehen. Der Einzige, der nichts verstand, war ich. Schön blöd, wenn man Latein, Altgriechisch, Englisch und Deutsch beherrscht, aber in Rudolfsheim-Fünfhaus wohnt, wo man Türkisch, Arabisch und Kroatisch spricht. Abgesehen von den paar Ecken, wo man nur mit Thai durchkommt. Ich bahnte mir mühsam den Weg durch meine Mitbewohner, die Männer in Unterhosen und T-Shirt, viele Frauen in Nachthemd und Morgenmantel. Ein kleiner Bub lief laut brüllend, nur mit einer Skimütze bekleidet, durch die Gänge. So mancher Bierbauch war zu bewundern, und nicht allen Frauen schien es unangenehm zu sein, einmal auch ihre Nachthemden in der Öffentlichkeit vorführen zu können. Seltsamerweise traf das auch auf die zu, die sonst immer mit Mantel und Kopftuch unterwegs waren.
Im ersten Stock, oder wie es bei uns heißt, im Mezzanin, traf ich meine Nachbarin im Gespräch mit zwei von Mikes Mädchen an. Alle drei hatten gleich wenig an. Die einen zum Arbeiten, die andere zum Schlafengehen. Ihr Mann saß auf der Stiege und trank mit Mike Dosenbier. Egal was passiert, Mike hat immer eine Dose in der Hand. Wenn’s Scheiße läuft, dann knackt er noch ein Blech und stellt die Musik lauter. Das ging diesmal nicht, weil offensichtlich der Strom ausgefallen war. Deswegen musste noch mehr Bier her. Seine rote Nase leuchtete im Schatten. Ansonsten war er bis auf eine weiße Unterhose nackt. Ein Goldketterl baumelte an der haarigen Brust, überall auf seinem nackten Körper prangten Knasttattoos.
»Auch eine Patrone?«, fragte er mich und griff hinter sich in eine Kühlbox. »Die Supp’n wird eh warm, besser sauf mas weg, solangs no kalt ist.«
Mikes größte Furcht ist es, dass das Bier in der Hölle warm sein könnte. Dass es dort eventuell gar keines geben könnte, war ihm noch nie in den Sinn gekommen. Er reichte mir die Dose und zündete sich eine Zigarette an. Das kleine Häufchen vor ihm sagte mir, dass er seit etwa einer Stunde hier saß. Das Bier war eiskalt, außen am Blech lief das Kondenswasser hinab, und wie immer war der erste Schluck herrlich. Bier sollte überhaupt nur in ersten Schlucken verkauft werden.
»Was ist denn eigentlich los?«, fragte ich einfach so in die Runde. Erst jetzt fiel mir auf, dass alle Mikes Dosenbier in der Hand hatten. Auch die orientalische Hausfrau, von der ich bisher nur die Augen gesehen hatte.
»Die Dutschn über dir hots Wosser übergehen lass’n. Jetzt hamm a an Wosserscho’n, der was si gwaschen hot. Und außerdem ist die Elektrik im Oarsch.«
»Mir hamma koa FI im Haus«, meinte nun mein Nachbar. »Da Besitzer ghert verklagt, der Oarsch.«
Alle nickten und riefen die Verdammnis auf den gierigen Wicht, dem das Haus gehörte, herunter, jeder in seiner eigenen Sprache. Mike murmelte nur zustimmend. Außer ihm und mir wusste niemand, dass er das war, dem das Haus gehörte.
»Und jetzt?«
»Installateur und Elektriker san scho do. Schau ma, was sie sogn.«
»Wird alles die Hausverwaltung zahlen müssen«, meinte mein Nachbar. Offenbar war er so was wie die vox communis.
»Und meine Obernachbarn, denen das Missgeschick passiert ist?«
Das junge Paar war eingezogen, kurz nachdem Slupetzky ermordet worden war.
»Arbeitslose, beide. Ham weder Geld noch Versicherung. Ich zahl keinen Cent.« Wieder Zustimmung unter den anderen.
Da tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Ein kleiner Mann mit grau gesprenkeltem Haar, einem mächtigen Schnurrbart und einer gewissen Ähnlichkeit mit Josef Dschugaschwili.
»Sie wohnen 6?«
»Ja.«
»Hams Sie ordentlich Wasserschaden. Missen wir trockenlegen. Außerdem Mauern aufstemmen, wegen Leitung neu Einzug. Viel Arbeit, ordentlich Schmutz.«
Er deutete auf meine Wohnungstür hinter seinem Rücken. Die Tür stand sperrangelweit offen. Er bemerkte meinen Blick.
»Haben wir aufgemacht. Hoffe, ist kein Problem.«
Na gut, einem Handwerker, der nachts um halb zwölf kommt, dem verzeiht man viel.
»Haben Sie andere Wohnung? Ihre geht nicht, fir, sag’ma, …« Er unterbrach sich und rief nach hinten in die Wohnung. Was er sagte, verstand ich nicht. Eine helle Stimme antwortete. Aber meiner Meinung nach nicht in der Sprache, in der er hineingerufen hatte. Daraufhin sah mich mein kleiner Stalin kurz an und meinte: »So 14 Tage, drei Wochen.«
Die
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