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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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ewig leben. Und wenn sie wieder arbeitete, würden vielleicht auch die Albträume verschwinden.
    Dann erschien in einer überregionalen Zeitung der Artikel zum Gedenken an Elias’ ersten Todestag. Mit einem Bild von Connie, wie sie verängstigt und verweint aus dem Gerichtssaal trat. Und auf einmal kam sie niemand mehr auf einen Kaffee im Cottage besuchen. Außer Elizabeth – aber das war nun mal ihre Aufgabe als Pfarrersfrau. Und Alice wurde nicht mehr von den anderen Kindern eingeladen. Das Geraune fing an, die schiefen Blicke. Ein paar Frauen versuchten noch, sich ihr mit einer gewissen atemlosen Neugier zu nähern, doch Connie merkte, dass da eine Kampagne gegen sie im Gang war, deren Initiatorin, wie ihr bald klar wurde, Veronica Eliot war. Wenn du dich mit ihr anfreundest, ist das, als würdest du sie freisprechen von dem, was sie getan hat. Willst du das wirklich? Willst du, dass die Leute dich auf eine Stufe mit ihr stellen? Ich verstehe einfach nicht, dass sie ihre Tochter behalten durfte. Das waren kindische, berechnende Worte, wie sie auch ein Achtjähriger zu seiner Bande auf dem Spielplatz hätte sagen können, aber sie wirkten. Es war die Gesetzmäßigkeit der Horde. Gegen Veronica begehrte man nicht auf. Und bald stieß Connie auf das Schweigen in der Schlange vor der Tür zur Spielgruppe, auf die eisigen Blicke, wenn sie zur Post ging, um das Kindergeld abzuholen.
    Die alte Connie hätte sich gegen Veronica gewehrt. Du dämliche Kuh, gib mir wenigstens die Gelegenheit, es zu erklären. Doch nach einem Jahr der Polizeiverhöre und Gutachten und Auftritte vor Gericht besaß sie keinerlei Kampfgeist mehr. Außerdem wollte sie sich nicht selbst bemitleiden. Das Recht dazu hatte sie mit Elias’ Tod verwirkt. Und so schlich sie gebeugt durchs Dorf und erwartete keine Freundlichkeiten mehr. Sie magerte ab. Manchmal wäre sie gern ganz verschwunden, sodass nur Alice sie noch hätte sehen können. Ihr einziger Trost war die halbe Flasche Wein, die sie sich abends, wenn ihre Tochter schlief, erlaubte. Sie war fast schon dankbar für die Nächte, in denen Alice ins Bett machte und zu ihr krabbelte; dann hatte sie jemanden zum Festhalten.
    Sie waren gerade in den Garten gegangen, als der Besucher kam. Vielleicht war er auch die ganze Zeit schon da gewesen und hatte, verborgen durch den Baum, von der Brücke geschaut. Bei einem seiner Besuche im Cottage hatte Frank ein dickes Seil um einen Ast des Apfelbaums geschlungen, der in einer Ecke des kleinen Gartens an der Uferböschung stand. Alice benutzte es als Schaukel. Im September würde sie in die Schule kommen, für ihr Alter war sie groß und kräftig. Und sie war nicht ängstlich. Sie packte das Seil und rannte los, stieß sich vom Boden ab und flog durch die Luft, fast bis über den Fluss. Connie hütete sich davor, etwas zu sagen. Sie durfte ihre Tochter nicht mit ihren Ängsten belasten. Aber sie wandte sich immer kurz ab, um nicht mit ansehen zu müssen, wie Alice abhob, biss sich auf die Lippen, um nicht laut zu schreien. Sei vorsichtig, mein Schatz. Bitte sei vorsichtig.
    Alice spielte gerade auf der Schaukel. Der Apfelbaum stand in voller Blüte, und durch die jungen Blätter mit ihrem verblüffend grellen Grün sah man die Straße nicht. Connie trank einen Kaffee, den sie sich nach dem Mittagessen aufgebrüht hatte. Dann rief Alice «Hallo!» – offenbar war da jemand, den Connie nicht sehen konnte –, und der Fremde tauchte vor dem Gartentor auf. Er blieb stehen und schaute zu ihnen hinein. Im ersten Moment dachte Connie, dass dies ein Reporter sein musste, der sie aufgespürt hatte. Seit sie in das Tal gezogen waren, hatte die Angst davor sie verfolgt. Der Mann war jung und besaß das unbeschwerte Lächeln eines Menschen, der es gewohnt ist, andere für sich einzunehmen. Ganz sicher ein Reporter. Über der Schulter trug er einen Rucksack, in dem ein Fotoapparat sein konnte – obwohl seine Strickmütze ihn wie einen Wanderer aussehen ließ. Vielleicht ging er ja auch nur hier am Flussufer spazieren.
    «Kann ich Ihnen helfen?» Ihr Ton war so scharf, dass Alice von der Schaukel überrascht zu ihr herüberblickte.
    Der Mann wirkte ebenfalls ein wenig erschrocken. Sein Lächeln verblasste. «Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht stören.»
    Der war nicht von der Zeitung, dachte Connie. Die von der Zeitung entschuldigten sich nicht. Nicht mal die Netten. Sie winkte kurz ab, entschuldigte sich ihrerseits. «Sie haben mich überrascht. Wir

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