Seelentraeume
an. »Vielleicht hast du ja recht, und er liebt dich. Wenn du ihm wirklich wichtig bist, wird er damit umgehen können.«
Sie gingen einen Schritt weiter. Die Mischung aus Sorge und Angst versetzte Charlotte in Aufruhr. Hinter ihren Augäpfeln brannte Feuer, sie presste ihre Hand auf den Mund.
Lady Augustine öffnete die Arme.
Charlottes letzte Verteidigungslinie gab nach. Weinend trat sie in die willkommene Umarmung.
»Mein Liebling, mein Schatz, alles wird gut«, tröstete Lady Augustine sie und hielt sie in den Armen. »Alles wird gut. Lass einfach los.«
Doch nichts war gut, und Charlotte musste mit Elvei reden.
Was sie über die wachsende Liebe zu einem Menschen gesagt hatte, mit dem man lebte, stimmte; ihre Liebe zu Elvei war gewachsen. Er war stets freundlich zu ihr, und etwas von dieser Freundlichkeit konnte sie jetzt gebrauchen. Sie fühlte sich schwach und hilflos. So hilflos.
Der Weg führte sie zur Nordterrasse. Ihr Mann saß auf einem Stuhl, trank seinen Morgentee und blätterte Zeitungen durch. Durchschnittlich groß und von muskulöser Gestalt, sah Elvei auf die für Aristokraten charakteristische Weise gut aus: klare, so vollkommen geschnittene Gesichtszüge, dass sie ein wenig entrückt wirkten, kantiges Kinn, schmale Nase, blaue Augen, braunes, leicht rotstichiges Haar. Morgens, wenn sie neben ihm aufwachte und das Frühlicht auf seinem Gesicht schimmerte, bewunderte sie oft seine Schönheit.
Charlotte kam die Stufen hinauf. Elvei erhob sich und schob ihr einen Stuhl hin. Sie nahm Platz und gab ihm den Brief.
Er las, ungerührt, das freundliche Gesicht zeigte keine Regung. Sie hatte eine deutlichere Reaktion erwartet.
»Bedauerlich«, meinte Elvei.
Mehr nicht? Bedauerlich? Ihre Intuition warnte sie, dass an seiner zur Schau getragenen Gelassenheit etwas nicht stimmte.
»Ich liebe dich wirklich«, sagte Elvei. »Sehr sogar.« Er griff über den Tisch nach ihrer Hand. »Mit dir verheiratet zu sein ist ganz einfach, Charlotte. Ich bin voller Bewunderung für deine Arbeit und für dich.«
»Es tut mir leid«, sagte sie. Der logisch arbeitende Teil ihres Verstandes wusste, dass sie nichts für ihre Unfruchtbarkeit konnte. Sie hatte sie nicht verursacht und alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihr Problem zu beheben. Sie wünschte sich ebenso sehr wie Elvei ein Kind. Trotzdem fühlte sie sich jetzt schuldig.
»Das muss es nicht.« Er lehnte sich zurück. »Es ist weder deine noch meine Schuld. Es ist einfach ein Schicksalsschlag.«
Er war so ruhig, fast nonchalant. Es wäre besser gewesen, er hätte geflucht oder mit irgendwas um sich geworfen. Stattdessen saß er reglos auf seinem Stuhl, und jedes seiner Worte ließ ihn ein kleines Stück zurückweichen und vergrößerte den Abstand zwischen ihnen. »Wir könnten ein Kind adoptieren«, sagte sie hoffnungsvoll.
»Das könntest du gewiss.«
In ihrem Kopf dröhnten Alarmglocken. »Du hast gesagt,
ich
könnte ein Kind adoptieren, nicht
wir
.«
Er schob ihr über den Tisch ein Blatt Papier hin. »Ich habe damit gerechnet, dass die Dinge sich so entwickeln würden, daher habe ich mir die Freiheit genommen, das hier vorzubereiten.«
Sie warf einen Blick auf das Blatt. »Annullierung?« Sie verlor die Fassung. Er hätte ihr ebenso gut ein Messer zwischen die Rippen stoßen können. »Nach zweieinhalb Jahren willst du unsere Ehe annullieren? Hast du den Verstand verloren?«
Elvei verzog das Gesicht. »Das hatten wir doch schon. Ich hatte vom ersten Tag der Ehe an drei Jahre Zeit, um einen Erben vorzuweisen. Mein Bruder ist verlobt, Charlotte, das habe ich dir vor zwei Monaten gesagt. Er hat ebenfalls drei Jahre, um ein Kind in die Welt zu setzen. Wenn ich mich von dir scheiden lasse und wieder heirate, bleiben mir noch sechs Monate, bevor ich nicht mehr erbberechtigt bin. Man kann aber in sechs Monaten kein Kind machen. Ich brauche die Annullierung, damit meine Dreijahresfrist neu beginnt, sonst kommt Kalin vor mir ans Ziel. Da man sich nicht so schnell verheiratet, kann das ohnehin passieren, aber …«
Das konnte unmöglich wahr sein! »Dann willst du also einfach so tun, als hätte alles, was uns in all den Jahren verbunden hat, nichts bedeutet, und mich entsorgen? Wie den Müll?«
Er seufzte. »Ich habe dir eben gesagt, wie sehr ich dich bewundere. Doch der Zweck unserer Heirat war die Gründung einer Familie.«
»Wir sind eine Familie. Du und ich.«
»Nicht die Sorte Familie, die ich brauche. Ich darf mir dieses Anwesen nicht
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