Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
Vom Netzwerk:
Notwendigkeit, Gewalttaten zu begehen;
    in der modernen Gesellschaft gibt es für solches Verhalten
    keine Entschuldigung.
    Das Buch der Wahrheit, »Gesetze«, Artikel 347
    Es waren nicht viele. In der dunklen Gasse standen fünf, sechs Männer, auf die ein bisschen Licht von den Feuertonnen fiel. Sie rührten sich nicht, als sich ihnen die Gesichter zuwandten. Diese Ruhe war bedrohlicher, als wenn sie Macheten geschärft oder mit Pistolen herumgespielt hätten, so wären sie im Falle eines Angriffs ganz klar die Überlegenen.
    Dann trat Terrible vor und hob den Saum seines Bowlinghemds, sodass der rautenförmig gemusterte Griff eines Messers sichtbar wurde. Chess versuchte, sich ihren Schrecken nicht anmerken zu lassen. An der anderen Hüfte schimmerte ein Pistolengriff aus gebürstetem Stahl. Seit wann trug er eine Pistole bei sich? Normalerweise tat er das nicht, jedenfalls nicht so offensichtlich.
    Neben Chess reckte Berta die Hand und zog eine Machete aus den hochtoupierten Haaren. Augenblicklich schlug die Stimmung von fassungsloser Trauer in Wut um, und Erregung machte sich breit. Butterflymesser öffneten sich, Reißverschlüsse ratschten auf, aus billigen Nylonhandtaschen kamen zugespitzte Nagelfeilen und Rohre zum Vorschein. Eine der Frauen klappte ein Rasiermesser mit Elfenbeingriff auf, das hundert Jahre alt sein musste. Niemand war so streitsüchtig wie ein Trupp Nutten aus Downside, die den Leichnam einer Kollegin verteidigten.
    Slobags Leute rührten sich nicht. Fuck! Wie sollte sie sich bloß verhalten? Slobags Leute waren auch Lex’ Leute, und der wäre bestimmt nicht begeistert, wenn sie bei diesem Kampf mitmischte, so gerne er sie auch in seinem Bett hatte. Andererseits war Terrible ihr Freund, und die Menschen um sie herum waren - na ja, wenn nicht seine Freunde, dann jedenfalls seine Schutzbefohlenen.
    Von der Toten, die langsam auf dem Pflaster gefror, ganz zu schweigen.
    »Chess«, sagte Terrible, ohne die Lippen nennenswert zu bewegen. Er reckte den Kopf in die Luft, als nähme er Witterung auf. »Warum verziehste dich nich in die Gasse da drüben, hm? Sieh zu, dass du von hier wegkommst.«
    »Ich habe mein Messer dabei.«
    »Nee, lass mal. Verzieh dich lieber. Ist nich dein Kampf.«
    Hier würde gar kein Kampf stattfinden, wenn sie es verhindern konnte.
    Sie machte Anstalten, ihm auf den Rücken zu klopfen oder den Arm zu drücken, um ihre Dankbarkeit zu zeigen, ließ die Hand aber wieder sinken. Es hätte ihn nur abgelenkt.
    Stattdessen verzog sie sich in die besagte Gasse und nahm das Handy aus der Handtasche. In den Müllhaufen, die sich entlang der ramponierten Wände türmten, raschelte es. Wahrscheinlich Ratten. Vielleicht auch Katzen oder kleine Hunde. Sie setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und hörte das gleitende Klirren, als Terrible sein Messer zog. Sie klappte das Handy auf.
    Das grelle Display schmerzte in den Augen. Wahrscheinlich gab sie gerade ein verdammt gutes Ziel ab, wie der Lichtkegel da so auf ihr Gesicht fiel. Erst jetzt dämmerte ihr, was sie eigentlich gerade getan hatte. Sie hatte das Schlachtfeld verlassen und ein Telefon gezückt. Damit machte sie sich in der Tat zur Zielscheibe. Aber ihr blieb nicht mehr viel Zeit.
    Ihre Finger zitterten nicht, als sie zu Lex’ Decknamen hinunterscrollte. Seine Nummer war eine von den dreien, die sie überhaupt in ihrem Telefon gespeichert hatte.
    Sie ging in die Hocke und stieß mit dem Hintern an etwas Hartes, Scharfkantiges. Irgendein Blechgehäuse. Sie machte sich automatisch eine geistige Notiz, dass sich hier bequem Elektrogeräte verstecken ließen, mit denen man einen Spuk vortäuschen konnte - aber bevor sie den Gedanken weiterverfolgen konnte, war Lex auch schon am Apparat.
    »Hey, Tülpi, was geht bei dir heut Nacht?«
    »Pfeif sie zurück, Lex«, flüsterte sie und hörte im selben Moment, dass es zu spät war. Der Kampf begann. Die Gruppen prallten mitten auf der Straße vor der Gasseneinmündung aufeinander. Chess hatte praktisch einen Logenplatz. Es waren nicht nur fünf oder sechs von Slobags Leuten; mindestens doppelt so viele strömten von irgendwo anders her auf die Straße. Wie viele hatten hier auf der Lauer gelegen und warum? Überwachten sie diese Straße etwa ständig, oder was?
    »Wen soll ich zurückpfeifen? Keinen Plan, wovon du redest. Alles klar bei dir?«
    »Nein. Hier ist Scheiße noch mal gar nichts klar. Deine Leute, Lex, Slobags Leute. Sie, sie ...« Ein Schrei schnitt ihr das Wort ab.

Weitere Kostenlose Bücher