Segel aus Stein
gelernt, Hannes und Magda. Die beiden hatten angefangen, ihre Gegenwart im Haus zu akzeptieren, wirklich zu akzeptieren.
Sie mochte Fredrik, seine Person. Seine anfangs spöttische Art mit ihr zu reden hatte sich in etwas anderes verwandelt.
Vor all dem hatte sie auch Angst. Wohin sollte es führen? Wollte sie es wissen? Würde sie es wagen, das herausfinden zu wollen?
Sie hörte Fredriks Stimme im Telefonhörer.
»Was machst du gerade?«
»Nichts, bin eben zur Tür reingekommen.«
»Hast du heute Abend Lust auf Kino?« Bevor sie antworten konnte, fuhr er fort: »Larrinders Tochter möchte sich etwas Geld als Babysitter verdienen. Sie hat von sich aus angerufen. Er hat mich heute gefragt, und ich hab gesagt, sie soll anrufen.« Bo Larrinder war ein relativ neuer Kollege im Fahndungsdezernat. »Und sie hat sofort angerufen.«
»Da öffnet sich dir eine neue Welt, Fredrik.«
»Ja, nicht? Und der erste Weg führt ins Svea.«
Das Kino Svea. Hundert Meter entfernt. Sie schaute auf ihre Füße. Sie sahen platt gedrückt aus, wie in Eisen gepresst. Sie sah die Teetasse auf der Anrichte warten. Sie sah das Bett und ein Buch vor ihrem inneren Auge. Sie sah sich selbst in Schlaf sinken, vermutlich innerhalb kürzester Zeit.
»Fredrik, heute Abend kann ich nicht. Ich bin total alle.«
»Es ist die letzte Chance«, sagte er.
»Heute Abend? Läuft der Film heute das letzte Mal?«
»Ja.«
»Du lügst.« »Stimmt.«
»Morgen Abend. Bien. Ich bereite mich jetzt schon mal innerlich darauf vor, dann können wir morgen gehen.«
»Okay.«
»Ist das in Ordnung für dich?«
»Selbstverständlich ist das in Ordnung. Was zum Teu... Was glaubst du denn? Was hast du übrigens heute Nachmittag gemacht?«
»Verdacht auf Frauenmisshandlung in Kortedala.«
»Die sind die schlimmsten. Hast du ihn gefasst?« »Nein.«
»Keine Anzeige?«
»Nicht von der Frau, auch nicht von der Nachbarin, wie sich herausgestellt hat. Aber es war das fünfte Mal.«
»Wie sieht sie aus?«, fragte Halders. »Ist es sehr schlimm?«
»Du meinst die Verletzungen? Ich hab sie selbst nicht getroffen. Ich hab's versucht.«
»Dann musst du wohl in die Wohnung eindringen.«
»Als ich heute dort war, hab ich das auch schon gedacht. Ich überlege hin und her.«
»Soll ich dich begleiten?«
»Ja.«
»Morgen?«, fragte Halders.
»Morgen hab ich keine Zeit. Wir haben noch die Cafediebstähle in Högsbo.«
»Sag Bescheid, ich bin bereit.«
»Danke, Fredrik.«
»Jetzt ruh dich ordentlich aus und bereite dich innerlich auf morgen vor, meine Liebe.«
»Bon soir, Fredrik.«
Sie legte mit einem Lächeln auf und holte ihren Tee. Dann ging sie ins Wohnzimmer, schob eine CD ein und setzte sich aufs Sofa. Sie spürte, wie ihre Füße langsam ihre alte Form zurückbekamen. Sie lauschte Ali Fark Toures kaputtem Wüstenblues und dachte an ein Land südlich von Toures Maliwüsten.
Sie erhob sich und legte Burkina Fasos eigenen großen Musiker Gabin Dabire auf, seine CD Kontöme von 1998.
Ihre Musik. Ihr Land. Nicht wie das Land, in dem sie geboren war und in dem sie lebte. Ihr Land.
Ein Kontöme war das Gottesbild, das es in jedem burkinischen Haus gab. Bei ihr hing es im Vorraum, über der Kommode. Die Ikone stellte die Geister der Ahnen dar, das wegweisende Licht der Familie und für die ganze Gesellschaft.
Das Licht, dachte sie. Das Kontöme beleuchtet den Pfad. Wir danken dem Kontöme für das, was wir sind und was wir haben, jetzt und alle Zeit. Und das Kontöme hilft uns, wenn sich das Schicksal auf diesem Pfad entwickelt.
Ja. Sie glaubte daran. Es war in ihrem Blut. Es war, wie es sein sollte.
Gabin Dabire sang seine Siza, seine Wahrheit:
Die Wahrheit, sag mir die Wahrheit Da unsere Kinder, unsere Alten, unsere Weisen und Die Natur selber Das Böse nicht fühlen Wahrheit, befrei die Unschuld.
Anetas Eltern stammten aus Obervolta, aber sie selbst war im Östra-Krankenhaus in Göteborg geboren. Seit 1984 hieß das Land Burkina Faso, aber es war noch immer dasselbe verarmte Land, voller Wind, wie die Musik, der sie lauschte, Steppen, die zu Wüsten wurden, Wasser, das es nicht gab. Die drei großen Flüsse, die südwärts durch das Land strömten, hießen Mouhoun, Nazinon und Nakanbe, früher wurden sie der Schwarze, der Rote und der Weiße Volta genannt, aber damals hatte es nicht mehr Wasser gegeben als heute. Während der Trockenheit hatten sich die Grassavannen unter dem heißen Nordwind, dem Harmatta, in Wüsten verwandelt, und die Flussbetten
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