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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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verrücktem Zickzack durch das Bild, und auf den Schiffen wurden die Signalhörner geblasen. Blitze durchzuckten die Luft, und wabernde Rauchkugeln wurden nach außen geblasen. Der Tiefenschwärmer steuerte in einem Spießrutenlauf durch feindliches Feuer geradewegs auf den Pilotenpalast zu.
    Antaea umfasste die Gitterstäbe vor ihrem Fenster und schrie: »Schneller!« Sie wippte auf den Fußballen und zerrten an dem kalten Metall, als könnte sie die
Stäbe aus der Wand reißen, und für einen Moment fühlte sie sich dafür tatsächlich stark genug. Sie spürte förmlich am eigenen Leibe, wie der Schwärmer mit vielen Dreh- und Ausweichmanövern den niederprasselnden Kanonenkugeln und Raketen auswich. Antaea hatte während des Ausfalls tagelang im Bruder dieses Schwärmers gelebt – und dieses Exemplar hatte ihre Schwester in sich getragen.
    Jetzt sah sie seinen silbrig glänzenden Körper in allen Einzelheiten, auch die schrecklichen Wunden, die die Granaten hineingerissen hatten. »Gleich hast du es geschafft! Nun mach schon!«
    Das Feuer wurde eingestellt, als der Schwärmer auf Rufweite an den Palast herangekommen war. Die Kanoniere konnten nicht mehr schießen, ohne Gefahr zu laufen, den Palast selbst zu treffen. Antaea richtete sich hoch auf und lachte entzückt, als der Schwärmer ungerührt weiterflatterte und – genau über ihr – verschwand. Sie stellte sich vor, wie er auf dem Dach über dem Schlafgemach des Piloten landete und mit seinen Klauenfüßen die Wasserspeier zerdrückte und die Schieferschindeln zerbrach. Tatsächlich fielen nach wenigen Sekunden mehrere Mauerbrocken an ihrem Fenster vorbei und schickten sich an, irgendeiner armen Seele draußen in der Stadt den Morgen zu verderben.
    Â»Was ist denn?«, schrie sie. »Worauf wartest du noch? Warum gräbst du die Dreckskerle nicht aus!« Doch von den Geschützen und von oben kam nur Schweigen.
    Der Schwärmer hatte die falsche Telen abermals in die Enge getrieben. Doch wie auf dem Asteroiden Rush wollte er keine Menschenleben gefährden, um an das Wesen heranzukommen. Die Palastwache würde nicht
riskieren, das Rad zu zerstören, um den Schwärmer zu fassen, und so steckte man erst einmal in einer Sackgasse.
    Antaea sprang mit einem Satz vom Fenster weg. Mit einem Mal erschien ihr der Luxus hier wie reiner Hohn. Sie trat mit dem Fuß gegen einen kleinen Tisch und spürte tiefe Genugtuung, als er krachend umfiel. Ehe sie sich’s versah, war sie dabei, den ganzen Raum zu verwüsten.
    Sie fand es sehr befriedigend, dass niemand kam, um sie daran zu hindern.
    Â 
    Â»Würde bitte jemand diesen verdammten Krach abstellen! « Adrianos Sempeterna III., Pilot von Slipstream, stemmte die Hände in die Hüften und schaute empört zur bemalten Decke hinauf. Als die Angriffe auf den Schwärmer endlich eingestellt wurden und die gedämpften Explosionen verstummten, nickte der Monarch knapp und sagte: »Vielen Dank .«
    Nun wandte Sempeterna sich wieder Chaison zu, den man in der Empfangshalle auf die Knie gezwungen hatte. Der Admiral starrte seinen Herrscher aufgebracht an. Er hatte endlich wieder einen klaren Kopf, und das sollte nach Möglichkeit auch so bleiben. Er durfte diesen albernen Tropf nicht merken lassen, wie verwundbar er war.
    Der Pilot war äußerlich unscheinbar, er hatte ein müdes Gesicht mit geröteten Augen, schmale Schultern und weiße Hände mit Spinnenfingern, die nervös ineinander verschlungen waren, wenn sie nicht gerade über seine Kleidung strichen oder an Bändern, Knöpfen oder Säumen zupften. Heute war Sempeterna ganz
in Türkis gekleidet: sein Haar war unter einer türkisfarbenen Brokathaube verborgen, und er zog eine steif gestärkte Schleppe hinter sich her, die bei jeder Bewegung über den Boden scharrte. Chaison hatte immer noch sonderbare Gedanken, und während er nun den Piloten beobachtete, fragte er sich, welche Berge an Staub und verlorenen Schmuckstücken sich unter dieser Schleppe wohl angesammelt haben mochten.
    Die einzige Stärke des Piloten war seine Stimme. Zwar fand er selber nicht leicht die richtigen Worte, aber wenn man ihm eine gute Rede zum Ablesen gab, konnte er die sprichwörtliche Statue zu Tränen rühren. Seine Redekunst war fest mit seinem Selbsterhaltungstrieb verbunden, und Chaison hatte sich oft gedacht, er verdanke

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