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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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nicht wahr? Sie haben gelernt, Schiffe und Soldaten aufeinanderzuhetzen, bis auf der anderen Seite so viele Leute tot sind, dass deren Befehlshaber die Nerven verlieren.«
    Â»Ist es nicht genau das, was ich für Sie tun soll?«
    Corbus schüttelte den Kopf. »Nein, denn letztlich werden nicht die Flotten oder ihre Befehlshaber entscheiden, wie diese Belagerung ausgeht, und auch nicht Aristokraten wie Sie. Entscheiden wird das Volk.«
    Chaison blinzelte, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Nur daran sah Antaea, wie bestürzt er war, aber es genügte. »Ihre Aufgabe – Ihre einzige Aufgabe«, beschwor ihn Corbus, und seine Stimme klang gepresst, »ist es, die Schiffe der Gretel auszuschalten. Die Städte müssen Sie mir überlassen.«
    Jetzt schien Chaison ratlos. »Was haben Sie vor?«
    Â»Sie werden es nicht verstehen«, erklärte Corbus. »Aber Sie werden es sehen.«
    Er rieb sich erneut die Augen, dann rutschte er auf seinem Stühlchen nach hinten. Er wirkte gehetzt und in die Enge getrieben. »Vergessen Sie Ihre Brände – erzählen Sie mir lieber, wie Sie die Schiffe mattsetzen wollen. Und erklären Sie mir noch einmal, was es mit diesen Pfeilen auf sich hat.«
    Â 
    Die Städte umkreisten einander misstrauisch. Stonecloud hatte sich aus einer grünen Schale mit darin rotierenden Habitaträdern in eine Riesenklaue mit Diesel- und Kohlerußflecken verwandelt, die Trümmerfinger
bestanden aus Gebäuden und endeten in spitzen Schiffsschnäbeln. Diese Klaue griff immer wieder gemächlich nach Neverlands nebelverhüllten Vororten. Die feindliche Stadt zuckte zurück und wich mit lautem Rauschen aus.
    Neverland bestand nur aus Einzelteilen: eine flexible Armada aus Gebäuden und Schiffen. Seine Habitaträder warteten etliche Kilometer hinter dem Hauptkomplex wie ein nervöser Tross, ein verlockendes Ziel für Chaison. Man könnte vielleicht ein paar Raketen an den Netzen und den Schotterwolken im Raum dazwischen vorbeischicken, aber wahrscheinlich würde es sich nicht lohnen. Neverlands Räder könnte er damit nicht bremsen.
    Ein nicht abreißender Strom von Berichten und frischen, nach Schwefel riechenden Fotografien ergoss sich in die Kommandozentrale (oder »Kommandozentrile«, wie das Schild vor der Tür verkündete). Trotz des herrschenden Chaos hatte sich viel geballte Kompetenz zusammengefunden, denn Stonecloud hatte wie jede große Stadt einen erklecklichen Anteil an Veteranen unter seinen Bürgern. Manche davon waren ziemlich alt, aber es gab auch junge Leute, und viele waren in ihrer Treue zur Falkenformation nicht zu erschüttern. Chaison war es ein Rätsel, wie sie die derzeitige Situation mit diesem Patriotismus vereinbarten – schließlich hatte die Regierung, an die sie so fest glaubten, sie schamlos im Stich gelassen –, aber solange sie ihre Aufgaben erfüllten, war ihm das ziemlich gleichgültig. Er las Berichte, redete mit Menschen, zeigte auf diesen oder jenen Bereich der vorbeidriftenden Gebäudewolke, stellte Fragen und erteilte hin und wieder auch
Befehle. Meistens schickte er allerdings Empfehlungen an Corbus, und der ehemalige Atlas setzte sie in Kommandos um. Chaison hatte dagegen nichts einzuwenden.
    Sie waren ohnehin chancenlos. Neverlands Strategie war offenkundig: Die beste Methode, eine Stadt einzunehmen, bestand darin, sie zu absorbieren, und Neverland war einfach größer als Stonecloud. So schön die Regionalhauptstadt der Falken auch war, sie würde sich ihre Identität nicht bewahren können. Neverland würde ihre Viertel auflösen wie Salzkörner in einem Glas Wasser – und wenn das nicht möglich war, dann würde man sie zerschlagen und die Teile den übrigen Gretel-Städten angliedern.
    Bei Einbruch der Dunkelheit traf eine neue Serie von Fotografien ein. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte der Junge, der Chaison die Abzüge reichte. Er hatte sie offenbar bereits auf dem Flug hierher durchgeblättert. Chaison ignorierte den Disziplinverstoß und hielt erst ein, dann noch ein Bild in die Höhe.
    Hinter dem Wust von Neverlands Gebäuden war undeutlich eine Wolke aus Menschen zu erkennen. Es mussten mehr als zwanzigtausend sein. Alle befanden sich im Freien und hatten sich zu einer Dreiviertel-Kugel formiert. Ein paar winzige Pünktchen im Zentrum wurden von hellen Lichtern angestrahlt.
    Â»Eine

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