Segel der Zeit
Stoneclouds Posten noch erschrocken ins unerwartete Tageslicht blinzelten, schossen zwischen Neverlands dicht beieinanderstehenden Türmen vier schnelle Kreuzer hervor und fegten etliche Falken-Bikes beiseite, die sie abfangen wollten. Dann brausten sie mit lautem Getöse auf Rufweite an Stoneclouds AuÃenviertel heran und verpassten ihnen eine Breitseite.
Arbeitstrupps hatten die ganze Nacht über den Schutt, der bei der Zerschlagung der Stadt angefallen war, ringsum im Luftraum verstreut. Zweck der Ãbung war, eine Zone zu schaffen, in der Bikes, Schiffe und Raketen nicht fliegen konnten. Die Schwierigkeit dabei bestand darin, dass die Trümmer mit der Zeit abdrifteten und es letztlich für die Gretel nicht allzu schwer war, genügend offene Korridore zu finden, durch die sie schieÃen konnten. Sechzehn, zwanzig, vierzig Raketen
rasten durch die unvermeidlichen Lücken in Chaisons Verteidigung und schlugen tief im Innern der Stadt ein.
Chaison stand oben auf der Zirkuskugel auf einem T-Eisen. Das Knattern der Signalflaggen hinter ihm wurde immer wieder vom Donnern der Einschläge übertönt. Zwischen den einzelnen Stadtvierteln züngelten orangerote Flammen hervor.
»Sie wollen im Herzen der Stadt Verwirrung säen«, bemerkte er zu Corbus, der schweigend zusah und an seinen schwieligen Fingerknöcheln kaute. »Und sie wollen uns das Schussfeld blockieren.«
Hinter den Angreifern war Neverland in Bewegung. Die beiden Städte hatten die ganze Nacht über einen unbeholfenen Tanz aufgeführt. Neverland hatte versucht, seine Viertel so in Stellung zu bringen, dass sie ins Herz von Stonecloud schieÃen konnten, und die Stadt der Falken hatte sich seinem Zugriff immer wieder entzogen, indem sie â wie eine Qualle aus den Tiefen des Winters â mit weniger als zwei Stundenkilometern ganze Häuserblocks einzog und anderswo wieder ausfuhr. Spät in der Nacht waren Stoneclouds Treibstoffreserven zu Ende gegangen, die vielen Tausend Lastwagen und Privatfahrzeuge, die die Gebäude ins Schlepptau genommen hatten, waren nacheinander abgekoppelt worden. Dann waren die ersten Häuser zusammengestoÃen. Das tiefe Grollen, als knirsche ein Riese mit den Zähnen, hatte Chaison und Antaea schlieÃlich geweckt.
Weitere Raketen kamen in die Stadt geflogen. Chaison hatte ihnen nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Immerhin sah er zufrieden, dass die meisten Geschosse in dichte Waldwolken einschlugen; Blätter und
Zweige stoben auf, aber bisher war noch nichts in die Nähe der Habitaträder gekommen.
Die waren das strategische Ziel. Die Absicht der Gretel war offensichtlich: Sie wollten die schwerelosen Bereiche der Stadt direkt in Neverland eingliedern und dann die Habitaträder in ihre Gewalt bringen, indem sie schwer bewaffnete Kreuzer zwischen ihre Speichen setzten. Das konnte nur gelingen, solange ihre Flotte den Angriff anführte; ohne die Kreuzer könnte zu guter Letzt auch Neverland von Stonecloud assimiliert werden. Chaison hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden eifrig daran gearbeitet, auf diese Weise einen Aufschub herbeizuführen.
Von einer nahe gelegenen Telegrafenstation kam ein junger Page auf das T-Eisen gesprungen. »Jetzt feuern sie an den Randbezirken in die Schuttwolke. Viele Raketen, viele Explosionen!«
Chaison nickte. »Hochleistungsladungen. Die Schockwellen räumen den Schutt weg. Sie wollen sich ein Loch schaffen, durch das sie einfliegen können. Ich muss wissen, ob die SpieÃruten bereit sind. Schickt Reservetrupps dorthin, dorthin und dorthin«, er wies mit der Hand auf die entsprechenden Stellen. »Und das Team des Wintergespensts soll anfangen, die Stöcke in Position zu bringen.«
Stonecloud verfügte nicht über herkömmliche Raketen, was aber nicht hieÃ, dass die Stadt nicht hätte schieÃen können. Der Plan war so verrückt, dass Chaison nur den Kopf schütteln konnte. Morgen würden die Gretel darüber lachen.
Die Gretel hatten ihre Flotte geteilt: Ein Schiffsgeschwader steuerte geradewegs in die Lücke, die sie
in den Verteidigungsring um die Stadt gesprengt hatten, vom zweiten waren nur grelle Blitze hinter Gebäuden und Wolken zu sehen; es zog viel zu schnell vorbei, als dass die SpieÃrutentruppen ihm hätten folgen können. Dieses Geschwader umkreiste die Stadt mit hoher Geschwindigkeit und suchte nach einer zweiten Lücke.
Das erste Geschwader
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