Seherin von Kell
frische Tränen rannen über ihr Gesicht.
»Bist du sicher, daß das richtig ist?« fragte Beldin Durnik.
»Ja«, antwortete der Schmied ruhig. »Es ist…«
»Du brauchst es nicht zu erklären, Durnik«, unterbrach ihn der Buckelige. »Ich wollte nur wissen, ob du sicher bist. Fertigen wir eine Bahre für ihn an. Das ist würdevoller.« Er gestikulierte flüchtig, und mehrere glatte, gerade Stangen und eine Seilrolle erschienen neben Toths Leiche. Sie banden die Stangen sorgsam zur Bahre zusammen und hoben den schweren Toten darauf. »Belgarath!« rief Beldin, »Garion! Wir brauchen hier etwas Hilfe!«
Obgleich jeder von ihnen Toths Leichnam mühelos in die Grotte hätte versetzen können, zogen die vier Zauberer es statt dessen vor, ihn mit der Zeremonie, die so alt war wie die Menschheit, zu seiner letzten Ruhestätte zu tragen.
Da die Explosion des Sardions die Decke der Grotte in die Luft ge-sprengt hatte, füllte nun die Mittagssonne die ehemals düstere Höh-le mit Licht. Cyradis zitterte, als sie auf den grimmigen Altar blickte, auf dem der Sardion gelegen hatte. »Er dünkt mir so dunkel und abscheulich«, sagte sie bedrückt.
»Er ist wahrhaftig keine Augenweide«, pflichtete ihr Ce'Nedra bei.
Sie drehte sich zu Eriond um. »Könntest du…«
»Natürlich.« Er sah nur flüchtig auf den grob gehauenen Altar, dann verschwamm dieser kurz und wurde zu einem glatten Sarkophag aus schneeweißem Marmor.
»So ist es viel passender«, sagte sie. »Danke.«
»Er war auch mein Freund, Ce'Nedra«, erwiderte der junge Gott.
Es war keine förmliche Bestattungsfeier. Garion und seine Freunde sammelten sich lediglich um den Sarkophag, um dem dahingeschiedenen Freund ein letztes Lebewohl zu sagen. Es staute sich soviel konzentrierte Kraft in der kleinen Grotte, daß Garion nicht mit Sicherheit hätte sagen können, wer die ersten Blumen erschuf.
Ranken efeuartiger Kletterpflanzen schlangen sich plötzlich die Wände empor, doch im Gegensatz zu Efeu trugen sie duftende wei-
ße Blüten. Im nächsten Augenblick zog sich ein Teppich aus üppi-gem, saftig grünem Moos über den Boden. Blumen in Hülle und Fülle bedeckten den Sarkophag, und dann trat Cyradis vor und legte die schlichte weiße Rose, die Poledra für sie gemacht hatte, auf die Brust des schlummernden Hünen. Sie küßte seine kalte Stirn und seufzte. »Allzu bald werden die Blumen welken und sterben.«
»Nein, Cyradis, sie werden frisch und schön bleiben, bis zum Ende aller Tage«, versicherte ihr Eriond.
»Ich danke Euch, Gott der Angarakaner«, sagte sie getröstet.
Durnik und Beldin hatten sich in eine Ecke nahe des Beckens zu-rückgezogen und besprachen sich. Dann blickten sie beide hoch, konzentrierten sich kurz und deckten die Grotte mit einem schimmernden Quarzdach, das die Sonnenstrahlen in die Regenbogenfarben brach.
»Es ist Zeit zu gehen, Cyradis«, sagte Polgara zu dem schlanken Mädchen. »Wir haben alles getan, was wir konnten.« Dann nahmen sie und ihre Mutter die immer noch weinende Seherin an den Armen und führten sie behutsam durch den Gang.
Die anderen folgten, nur Durnik blieb noch kurz am offenen Sarkophag stehen und legte eine Hand auf Toths leblose Schulter.
Schließlich streckte er die andere aus und nahm Toths Angelrute aus der Luft. Er legte sie sorgfältig neben den toten Freund und berührte ein letztes Mal die gefalteten Hände des Hünen, dann drehte er sich um und ging.
Als sie wieder im Freien waren, vermauerten Beldin und der Schmied den Gang mit weiterem Quarz.
»Das war ein guter Einfall«, bemerkte Silk traurig und deutete auf das Abbild über dem Portal. »Wer von euch hat daran gedacht?«
Garion drehte sich um. Toraks Gesicht war verschwunden, an seiner Stelle lächelte nun Erionds steinernes Antlitz gütig herab. »Ich bin mir nicht sicher«, antwortete er, »aber ich glaube auch nicht, daß das so wichtig ist.« Er klopfte mit den Fingerspitzen auf die Brustplatte seines Panzers. »Würdest du mir heraushelfen?« bat er. »Ich glaube, ich brauche die Rüstung nicht mehr.«
»Nein«, pflichtete ihm Silk bei. »So, wie es aussieht, würde ich sagen, daß dir die Gegner ausgegangen sind.«
»Hoffen wir es.«
Es war viel später. Sie hatten die Leichen der Grolims aus dem Amphitheater entfernt und den Schutt, der den Steinboden bedeckt hatte. Doch gegen den riesigen Kadaver des Drachen konnten sie wenig unternehmen. Garion saß auf der untersten Stufe der Amphitheater-treppe. Ce'Nedra, die noch ihr
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