Sehnsucht nach Leben
Kirchengemeinde einbringe. Woran hängt mein Herz?â Wer sich diese Frage stellt, sagt Luther, weiÃ, wer sein Gott ist.
Im Johannesevangelium gibt es eine eindrückliche Geschichte, in der Jesus an einem Brunnen eine Frau aus Samarien trifft. Diese Frau ist in mehrfacher Hinsicht von einem Leben in Fülle ausgeschlossen: Sie ist Ausländerin, sie lebt unverheiratet mit einem Mann zusammen, und er ist nicht der erste, mit dem sie das tut. Und sie ist eine Frau. Daher sind die Jünger empört, dass Jesus überhaupt mit ihr redet. Das Gespräch der beiden ist auch nach all den Jahrhunderten noch faszinierend, weil Jesus sie ernst nimmt. Er versteht, dass sie Sehnsucht nach Leben empfindet. Nach einem anderen Leben vielleicht, aber zumindest nach Sinn in ihrem Leben, das so viele Beschwernisse und Lasten kennt. Sie versucht zu verstehen, was er meint, wenn er davon spricht, dass er ihr lebendiges Wasser anbietet, das nicht aus Brunnen geschöpft werden kann. So kommt es zu dem folgenden Dialog: âJesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser. Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser?â (Johannes 4,10 f.). Das ist mehr als ein Gespräch â es ist ein Ringen um Verständnis. Faszinierend ist, dass Jesus die Frau nicht zurückweist, weil sie nicht klug genug wäre oder ein Leben führt, das den Normen der Gesellschaft jener Zeit widerspricht. Damit zollt er ihr Anerkennung, das ist sie nicht gewohnt. Bei ihm muss sie sich nicht für ihr vermeintlich so falsches Leben rechtfertigen. Stattdessen eröffnet er ihr auf diese Weise einen Weg, wie sie über ihr Leben, ihre Hoffnungen und Träume reflektieren kann. Die Glaubensfrage erweitert den Horizont und macht es möglich, das Leben in einem neuen Licht zu sehen. Am Ende sagt Jesus: âWer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quilltâ (Johannes 4,14).
Die Frau begreift, dass Jesus ihr gerade einen ganz anderen Blick auf ihr Leben ermöglicht hat. Sie läuft in ihren Ort und überzeugt andere, zu kommen und ihn kennenzulernen. So will sie teilen, was sie so berührt, was sie erfahren und erlebt hat. Wer erkennt, dass Glaube Lebensfülle eröffnet, will andere daran teilhaben lassen, damit sie eine Chance haben, diese ebenfalls kennenzulernen. Wenn ich das eigene Leben aus dem Blickwinkel Gottes sehe, ist das keine Flucht in eine andere Welt. Es eröffnet mir einerseits die Standfestigkeit und das Vertrauen, Sinn in meinem Leben zu finden, so wie es ist, mit allen Grenzen und vielleicht auch falschen Abzweigungen. Aber es eröffnet mir andererseits auch die Freiheit, mich nicht einfach mit dem Gegebenen abzufinden, Veränderung zu sehen und in Gottes Welt Verantwortung zu übernehmen.
Aus diesem Grund dürfen wir unserer Sehnsucht nach erfülltem Leben Raum geben. Wenn Aufbruchstimmung in uns aufkommt, müssen wir sie nicht zwanghaft unterdrücken. Vielleicht empfinden die Menschen, die wir lieben, ja das Gleiche! Darum dürfen wir hinfühlen, zulassen, herausfinden, welche Bedürfnisse sich hinter unserer Sehnsucht verbergen. Und dann können wir in Verantwortung vor uns selbst, vor den Menschen in unserem Umfeld und vor Gott wagen, Schritte in eine neue Richtung zu gehen. âDu stellst unsere FüÃe auf weiten Raumâ, heiÃt es in Psalm 31. Und diesen Raum dürfen wir beschreiten.
Sehnsucht nach
STILLE
Wir sind zwölf berufstätige Frauen, die sich zweimal im Jahr treffen. Dieses Mal in einem Kloster. Die Ãbtissin geht mit uns in den Nonnenchor und führt uns langsam und ruhig hinein in eine Zeit der Stille. Einige sind unruhig, müssen erst ihren Sitz finden; erst nach und nach wird es wirklich still. Ganz still. Jede ist für sich und doch sind wir zusammen. Das Kloster hat eine besondere Ausstrahlung. Die Wände hallen wider von Gebeten. Und von der Anwesenheit von Menschen, die vor uns hier in der Stille waren, meditierten, innerlich mit ihren Lebensfragen gerungen haben.
Eine sagt hinterher: âIch habe schon lange nicht mehr
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