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Sehnsucht nach Leben

Sehnsucht nach Leben

Titel: Sehnsucht nach Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaeßmann
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geliebten Menschen mit zu retten. Aber am Ende liegt der Sinn allein in der Frage des Überlebens, Tag für Tag. Die Sehnsucht nach Leben ist erst einmal auf die Sehnsucht reduziert zu über leben. Es geht um die nackte Existenz. Und alles andere erscheint als Luxus.
    Sehnsucht nach Leben im weiteren Sinn ist aber deshalb nicht abzuwerten. Es macht ja auch die Menschlichkeit des Menschen aus, dass er fragt, nachdenkt, grübelt. Gerade in den reichen Gesellschaften ist es wichtig, Raum für die Sinnfrage zu lassen. Sich nicht zu betäuben, ständig der Ablenkung hinzugeben, sondern diese Sehnsucht in uns zuzulassen, dass unser Leben Bedeutung hat, dass wir in der Welt etwas verändern können, unsere Gaben zur Geltung bringen, etwas beitragen dürfen zum größeren Ganzen.
    Als ich einige Monate in einem Studentenwohnheim in den USA lebte, war ich manchmal berührt von den mürrischen Blicken der jungen Leute. Sie alle gingen auf eine teure Universität, hatten ein wirklich luxuriöses Studentenwohnheim, meist auch noch ein Auto. Ihre Situation und ihre Zukunftschancen waren also großartig. Und doch war da eine Unzufriedenheit, die nichts mit Leben in Fülle zu tun hatte, aber auch nicht auf das Nachdenken über einen Aufbruch schließen ließ. Leben in Fülle erlebten sie wohl nicht. Viele fühlten sich, wie ein Jugendlicher sagte, in einem „race to nowhere“, einem Rennen nirgendwohin: gute Noten, gute Schule, gute Universität, gute Arbeitsstelle – aber wo bleibt die Seele?
    Ich habe den Eindruck, dass viele sich von dieser Frage einfach ablenken lassen, dass sie sich ihr entziehen oder ihr entfliehen. Wer viele Stunden am Tag vor dem Fernseher oder am Com-puter verbringt, findet schlicht keine Zeit, das eigene Leben zu hinterfragen: Was will ich eigentlich anfangen mit der begrenzten Zeit, die mir zur Verfügung steht? Mag sie nun kürzer oder länger sein – begrenzt ist sie ja auf jeden Fall. Wer will am Ende des Lebens schon sagen: „Nun, die meiste Zeit habe ich vor dem Fernseher verbracht.“? Ich weiß, das klingt etwas zynisch. Aber manchmal finde ich es bedrückend, dass Menschen sich nicht fragen, wie sie ihr Leben denn verbringen wollen. Oder dass sie in virtuelle Welten flüchten, in denen sie anders sein können.
    Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die virtuelle Welt von „Second Life“ (SL), „Zweites Leben“. Fünfzehn Millionen Menschen sind hier angemeldet und agieren durch Avatare – Stellvertreter –, die so aussehen und handeln, wie sie es sich wünschen. Rund sechzigtausend Menschen sind rund um die Uhr eingeloggt. In einem Trailer auf der Website heißt es, SL sei ein Ort, sich zu treffen, zum Einkaufen, zum Arbeiten, um sich zu verlieben und zum Erkunden: „Ein Ort für Sie. Seien Sie anders. Befreien Sie sich selbst. Befreien Sie Ihre Fantasie. Ändern Sie Ihre Meinung. Ändern Sie Ihr Aussehen. Lieben Sie Ihr Aussehen. Lieben Sie Ihr Leben.“
    Hier kommt die Sehnsucht nach einem anderen Leben, nach einem anderen Ich ganz deutlich zum Ausdruck, hier leben Menschen Sehnsucht aus: So würde ich gerne sein. Doch sie verbleibt in einer virtuellen Welt, denn sobald du den Computer ausschaltest, findest du dich in deinem alten Leben wieder – einem Leben, in dem du dich vielleicht noch weniger lieben kannst, weil du eben nicht so aussiehst, wie du es dir erträumst. Manche sind dann noch einsamer als vorher.
    Ich denke, die entscheidende Frage ist, wie wir lernen können, einerseits mit unserem Leben zufrieden zu sein, andererseits aber auch der notwendigen Sehnsucht nachzugeben, uns immer wieder neu zu finden und zu verändern. Die Bibel sieht den Glauben an Gott als entscheidend dafür an. In Psalm 16 heißt es: „Du tust mir kund den Weg zum Leben: Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich“ (Vers 11). Leben in seiner ganzen Fülle kann sich mir also eröffnen, wenn ich mein Leben im Licht Gottes betrachte. Ich bin eines von Gottes Geschöpfen; das ist, was meinem Leben Sinn gibt. Und ich bin auf diese Weise auch Teil einer realen Familie der Kinder Gottes durch die Zeiten und in unserer Zeit.
    Und wie kann das für mich persönlich aussehen? Ich denke, es ist oft erst einmal wichtig, wertzuschätzen, was ich habe, und mich mit meinem eigenen Leben samt allen Grenzen auszusöhnen. Wem das

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