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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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überleben.‹
    Bis dahin hatte ich weder etwas von den Konzentrationslagern noch von den Sammellagern erfahren. Es war lange her, dass wir Owitambe verlassen hatten. Nehale erzählte mir von den Flüchtlingsströmen, von den vielen Toten und Gefangenen. Das Grausen, das ihn dabei überkam, ergriff auch mich.
    ›Nicht alle aus meinem Volk sind so‹, verteidigte ich mich bedrückt, und dann erzählte ich ihm von Owitambe und unserem Traum, dass Schwarze und Weiße gemeinsam und voneinander profitierend in diesem wundervollen Land leben sollten.
    ›Warum tust du das?‹, fragte er neugierig. ›Du könntest alles haben. Warum teilst du es mit den anderen?‹
    ›Weil es für alle reicht und alle so viel zufriedener sind‹, erklärte ich. Nehale hörte mir aufmerksam zu, während ich mich immer mehr in Eifer steigerte. Es tat so gut, von zu Hause zu erzählen. Dabei erklärte ich ihm auch, wie wichtig es für uns war, endlich wieder zurückzukehren. Nehale sah mich lange nachdenklich an.
    ›Würdest du mir ein Kleidungsstück von dir überlassen?‹, fragte er unvermittelt. Ich verstand nicht. ›Ich habe nur das, was ich anhabe‹, erklärte ich. Nehale zuckte mit den Schultern. ›Gib mir dein Halstuch.‹
    Ihm schien viel daran zu liegen, also gab ich es ihm. Ungläubig starrte mich der Ovambohäuptling an. ›Du gibst mir wirklich etwas von deiner Kraft?‹, fragte er. Ich nickte, ohne zu wissen, was er meinte. Erst später erklärte mir Sarah, dass kein Ovambo einem anderen freiwillig ein Kleidungsstück überlässt, weil er sonst um seine Kraft fürchten muss und leichter zu verhexen ist. Im Nachhinein überfällt mich bei diesem Gedanken immer noch ein leichter Schauer. Ich habe selbst erlebt, was die Zauberei bei den Ovambos anrichten kann. Immerhin versprach mir Nehale, es nie gegen mich zu verwenden.«

    »Und dann?«
    Johannes verzog seinen Mundwinkel. »Dann nickte er mir zu und ließ mich grußlos stehen. Am nächsten Tag brachte Hidipo das Pferd und unser Gepäck und führte uns aus dem Dorf. Er gab uns sogar Wasserflaschen und einen kleinen Sack voller Getreide mit. Außerhalb des Dorfes lagerten die Flüchtlinge. Wir mussten direkt an ihnen vorbei. Mitten unter ihnen saß Rajiv. Ihr könnt euch vorstellen, wie überrascht ich war, ihn zu sehen. Als ich Hidipo bat, ihn mit uns ziehen zu lassen, willigte er ohne Bedenken ein.«

Fritz
    Eiskalter Winternebel, undurchdringlich und zäh, lag wie ein Kissen über ihnen. Es war, als wäre die Welt um sie herum von dichtem feuchtem Grau verschluckt worden. In der Ferne rauschte das Meer. Sehen konnten sie nichts. Es war nicht mehr weit bis zum menschenverachtenden Ziel ihrer unmenschlichen Reise. Fritz schleppte sich neben den anderen Gefangenen her. Keiner sprach. Wozu auch? Ihr Schicksal war besiegelt. Man hatte ihnen Hände und Füße gebunden, sodass sie nicht fliehen konnten. Viele der Herero vermochten sich kaum aufrecht zu halten. Die schlechte Verpflegung und der lange Marsch forderten ihren Tribut. Tagsüber war es brüllend heiß, während es nachts und in den Morgenstunden bis zum Gefrierpunkt abkühlte. Husten und Fieber breiteten sich aus, was den Leutnant und seine Soldaten jedoch nicht davon abhielt, sie weiter anzutreiben. Einige der Schutztruppensoldaten schwangen wie Sklavenhalter Nilpferdpeitschen und ließen sie ohne zu zögern auf den Rücken der Zurückbleibenden niederknallen. Fritz hatte ihre unbarmherzige Härte auch schon zu spüren bekommen. Nancy lief direkt neben ihm und stützte ihn, wenn er ins Straucheln kam. Sein Allgemeinzustand war nicht besonders gut, denn er litt immer noch an den Folgen seiner Schussverletzung. Seit ihrem Abtransport aus Okahandja war die ehemalige Köchin keinen Schritt von ihm gewichen. Sie schien sich ihm verpflichtet zu fühlen und tat alles, um ihm seine Situation zu erleichtern. Bei jeder Mahlzeit bot sie ihm uneigennützig ihre Essensration an, was er natürlich höflich,
aber entschieden ablehnte. Fritz trug Nancy nichts nach. Im Gegenteil. Ohne sie hätte er es nicht geschafft. Die Schussverletzung an seiner Schulter war im Fort lediglich notdürftig versorgt worden. Es war nur ein Streifschuss gewesen, aber er hatte viel Blut verloren. Dann hatte sich die Wunde entzündet, und er wäre wohl an Wundbrand gestorben, hätte Nancy sie nicht ausgebrannt und täglich mit ihrer ohnehin knapp bemessenen Trinkwasserration gereinigt und neu verbunden. Fiebernd hatte er den ersten Teil des Transports in

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