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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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musterte neugierig das Gesicht seines Großvaters. Ihre Hand hielt fest Raffaels Finger umklammert; der Junge stand direkt neben ihr und verkündete allen stolz, dass er nun Onkel sei.
    »Ich werde dich immer beschützen«, behauptete er großspurig.
    Alle lachten. Seit langer, langer Zeit herrschte so etwas wie Unbeschwertheit auf Owitambe. Nur Jella blieb in sich gekehrt und dachte an Fritz, der ihr genau in diesem Moment so schmerzlich fehlte.
    Sie wandte sich an Rajiv, der neben der immer noch fassungslosen Imelda saß.
    »Und du weißt wirklich nicht, was aus Fritz geworden ist?«, fragte sie zum hundertsten Mal. Rajiv bedauerte.
    »Nachtmahr wollte uns ins Fort von Okahandja bringen. Ich hatte das Gefühl, dass er sich an Fritz rächen wollte. Er behauptete, dass er schuld am Tod seines Sohnes sei.«

    »Aber das ist doch absurd«, empörte sich Jella. Plötzlich wurde sie aschfahl und umklammerte mit ihren Fingern die Tischkante. »Und wenn sie ihn dafür hingerichtet haben?«
    »So etwas darfst du nicht einmal denken!«, widersprach ihr Vater. »Die Schutztruppen haben ganz andere Sorgen, als einen diplomatischen Konflikt mit Südafrika heraufzubeschwören. Fritz ist immer noch Bure. Er sitzt wahrscheinlich im Gefängnis. Ich werde mich in den nächsten Tagen auf den Weg machen und herausfinden, was mit ihm ist.«
    Jella seufzte. Immerhin gaben ihr die Worte ihres Vaters ein wenig Hoffnung zurück.
    »Erzähl uns endlich deine Geschichte, Rajiv«, wandte sich nun Imelda an den Inder. »Ich platze vor Neugier, wie du den Soldaten entkommen bist.«
    Rajiv verneigte sich höflich in ihre Richtung.
    »Sie haben deinen Sohn gefesselt und uns gezwungen, zu Fuß zu gehen. Nachtmahr wollte Fritz demütigen. Sein Augenmerk war völlig auf ihn gerichtet. Um mich kümmerte man sich nicht besonders. Ich wurde gezwungen, hinter den Herero herzulaufen. Es war leicht für mich, mich in einem unbeachteten Augenblick seitlich in die Büsche zu schlagen.« Er blickte Jella entschuldigend an. »Es war Shivas Wille, dass ich allein fliehen sollte. Dein Mann war zu gut bewacht.« Sie nickte ihm verständnisvoll zu.
    »Ich lief quer durch die Savanne und vermied es, Menschen zu begegnen, vor allem den Weißen.« Rajiv sah in die Runde. »In diesen Zeiten sind alle Menschen dunkler Hautfarbe verdächtig.«
    »Warum bist du nicht gleich nach Owitambe gekommen?«, wandte Jella ein. »Wir hätten schon lange etwas unternehmen können.«
    »Es war leider nicht mein Karma.« Rajiv hob bedauernd die Hände. »Natürlich wollte ich so schnell wie möglich zu euch.
Ich konnte den Waterberg schon von der Ferne sehen. Doch dann stürzte ich in eine gut getarnte Tierfalle. Flüchtende Herero hatten sie angelegt. Ich brach mir ein Bein und stieß mir den Kopf an. Mein Glück war, dass die Herero mich vor den Löwen entdeckten.« Er grinste entschuldigend. »Ich muss wohl eine Zeit lang mein Gedächtnis verloren haben. Auf jeden Fall wusste ich nicht mehr, wer ich war. Die Herero, die mich gefunden haben, pflegten mich und nahmen mich mit auf die Flucht in den Norden. Es waren großherzige Menschen, vor denen ich großen Respekt habe. Sie zogen zu ihren Stammesfreunden, den Ovambos. Der Rest ist schnell erzählt. Wir landeten im selben Dorf wie dein Vater. Als ich ihn sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und ich erinnerte mich auf einmal an meine Herkunft. Es klingt unglaublich, aber es ist wahr.«
    Johannes bestätigte Rajivs Version.
    »Rajivs Ankunft war dann auch indirekt unsere Rettung. Nehale war durch den nicht versiegenden Flüchtlingsstrom völlig überfordert. Jeden Tag kamen mehr Menschen. Ich nutzte die seltene Gelegenheit seiner Anwesenheit, um mit dem Häuptling zu reden. Nehale ist ein ruhiger, besonnener Mann, der genau weiß, was er will. In gewisser Weise schätze ich ihn sogar. Der Mann sprach nicht viel, aber was er sagte, hatte Hand und Fuß. ›Das Dorf ist zu klein für so viele Menschen‹, meinte ich. Nehale, der in Gedanken versunken war, schaute auf.
    ›Ja.‹
    ›Verteilst du die Herero auf andere Dörfer?‹, wollte ich wissen.
    Er lachte bitter auf.
    ›Wie denn?‹, fragte er. Seine tief liegenden Augen bohrten sich in meine. ›In den anderen Dörfern ist es nicht anders.‹
    ›Du meinst, dass alle Dörfer Flüchtlinge aufgenommen haben?‹ Erst jetzt wurden mir die Ausmaße dieses schrecklichen Krieges klar.

    ›Ihr Deutschen tötet alle Herero‹, schimpfte Nehale. ›Sie kommen hierher, um zu

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