Sehnsucht nach Owitambe
einer Eisenbahn überstanden.
Ab Keetmanshoop mussten sie marschieren. Viel zu viele der etwa hundert Gefangenen hatten die Strapazen nicht überlebt. Fritz konnte sich kaum erinnern, wie viele Gräber er und die anderen Männer gezwungen waren auszuheben.
Lüderitz war nur eine kleine Siedlung, die aus einigen Baracken und einem Hafen mit drei Landungsbrücken bestand. Im Westen wurde die zum Meer offene Lüderitzbucht von einer länglichen, kargen Insel geschützt. Auf der vegetationslosen, schutzlos den rauen Atlantikwinden ausgesetzten Felseninsel standen abgesehen von einem Leuchtturm nur einige aus Ziegelsteinen errichtete Häuser. Eines davon war ein Feldlazarett, ein anderes diente als Quarantänestation. Die gesamte Insel bildete das Konzentrationslager. Der Name Haifischinsel rührte von den vielen Haien, die sich in den Gewässern rund um die Insel tummelten. Das Konzentrationslager war in verschiedene Sektionen unterteilt. Landwärts befanden sich die Versorgungseinrichtungen, daran schloss sich das Lager der Namas an, und am Sporn der Insel, wo die Gefangenen schutzlos dem Wind, dem Meer und dem Wetter ausgeliefert waren, hatte man die Herero untergebracht.
Als Fritz mit seinen Leidensgenossen in das trostlose Lager getrieben wurde, verlor selbst er für einen Moment die Zuversicht.
Hier waren sie im wahrsten Sinne des Wortes vom Rest der Welt abgeschnitten und verloren.
Für ein Konzentrationslager war die Lage geradezu ideal. Der einzige Zugang zu der knapp zwei Kilometer langen Insel war eine winzige Landenge, die leicht von zwei Soldaten der Schutztruppe zu bewachen war. Das Lager selbst war durch Stacheldraht gesichert und wurde ebenfalls bewacht. Selbst wenn es dennoch einem Gefangenen gelingen sollte zu fliehen, dann erwarteten ihn im Meer nur der Kältetod oder die Haie. Trotz seines eigenen Unglücks schämte sich Fritz in diesem Moment dafür, ein Weißer zu sein. Unendliches Leid, Trauer, Krankheit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Resignation schlugen ihm aus den dunkelhäutigen Gesichtern der Lagerinsassen entgegen. Die Unterkünfte der Menschen, soweit sie als solche zu bezeichnen waren, bestanden lediglich aus zerschlissenen Militärzelten oder provisorischen Behausungen, die die Menschen aus Latten, Planen oder anderen einfachen Baumaterialien selbst errichtet hatten.
Ein dickleibiger Unteroffizier, der für die Hererosektion verantwortlich war, ließ ihnen die Fesseln abnehmen. Als er Fritz erblickte, merkte er auf und ließ ihn zu sich rufen. Neugierig musterte er seine zerlumpte Gestalt.
»Sakradi«, fluchte er auf Bayrisch. »Wia kummt denn so oina wia du daher? Bist du oina von dena dreckata Negerfreind?«
»Fragen Sie den Leutnant«, entgegnete Fritz barsch. »Er wird Ihnen die amtliche Version liefern.«
Der Unteroffizier kniff abschätzend die Augen zusammen.
»Dann san’S oisa in Ihrana Augn unschuldig?«
»So unschuldig wie diese Menschen hier.« Er deutete mit dem Kopf auf die Herero. In diesem Moment waren ihm die Folgen egal, die diese Dreistigkeit mit sich bringen konnte. Doch der Offizier klatschte sich stattdessen lachend auf den Oberschenkel.
»Do legst di nieda!« Sofort wurde er wieder ernst und deutete auf einen anderen Offizier, der sich abseits hielt. »Mei, nur guat, dass des jetzt mia, dem Sepp Hofleitner, g’sogt host!« Er näherte sich ihm vertraulich. »Wenn i dir an guatn Rat gem derf, dann red so ned mit dem Leutnant Schöndorf. Des is ein ganz ein Deutscher. Der steckt di sonst sofort zu den Arbeitern an der Mole oder gar zum Gleisbau.«
Fritz zuckte gleichgültig mit den Schultern.
»Die Leut sterm hier wia d’ Fliegn«, warnte der Unteroffizier. Seine Stimme klang bekümmert. Dann besann er sich jedoch wieder seiner Aufgaben und straffte sich. »Befehl is Befehl«, murmelte er. Sein Blick fiel auf Fritz Armstumpf. »I werd sehn, wos i für di tuan ko!«
Es war den Neuankömmlingen selbst überlassen, sich eine Unterkunft zu suchen oder zu bauen. Man hatte für die rund achtzig Menschen zusätzlich zwei Militärzelte aufgestellt. Doch sie waren rissig und äußerst zugig. Die meisten der entkräfteten Herero kauerten sich dennoch hinein, froh, erst einmal ein Dach über dem Kopf und ihre Ruhe zu haben. Fritz war ebenfalls todmüde, aber er hatte sich entschlossen, eine eigene Unterkunft zu bauen. Also machte er sich auf, um im Lager nach ein paar geeigneten Gegenständen zu suchen. Aus etwas Schwemmholz und einer Plane
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