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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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Gattin des neuen Chief Commissioners sehr dankbar dafür.«
    Jella winkte ab. Sie wollte keinen Streit. »Schon gut, ich werde mich zusammennehmen.«
    Sie wusste, dass ihr Mann recht hatte und dass die Einladung für seine Karriere am Hof von großer Bedeutung war. Und Frauen begleiteten nun mal ihre Männer zu solchen Anlässen. Das Leben in der englisch-indischen Gesellschaft war für sie
mehr als anstrengend, weil ihr jede diplomatische Geschicklichkeit abging. Vor allem machten ihr die Kolonialbeamten mit ihren snobistischen Familien zu schaffen. Sie brachten nicht nur ihre Teetassen und Möbel aus England mit, sondern auch ihre Bräuche. So manch einer, der aus einer einfachen Familie stammte, versuchte in den Kolonien Karriere zu machen und gab sich deshalb besonders elitär. Für Jella waren offizielle Empfänge wie ein Besuch im Haifischbecken. Am schlimmsten war die unberechenbar intrigante Lady Gainsworthy, die Frau des neuen Chief Commissioners. Obwohl sie erst wenige Monate in Udaipur waren, beherrschte sie jeden Empfang und liebte es, dabei ihre klebrigen Spinnfäden auszuwerfen, in denen man sich unrettbar verstricken konnte. Dabei ging sie äußerst subtil und raffiniert vor. Wer etwas erreichen wollte, kam an dieser mondänen Frau nicht vorbei. Zu ihren größten Bewunderern gehörte ihr Gatte. Er war bedeutend älter als sie und eindeutig stolz, dass er eine so schöne Frau sein Eigen nennen konnte. Dabei schien er gar nicht zu bemerken, dass sie ihm unentwegt Hörner aufsetzte und ihn schamlos ausnutzte. Als höchster Kolonialbeamter, der nur dem Gouverneur unterstand, hatte er eine Menge Einfluss in der englischen Gesellschaft, aber auch am Hofe des Maharana. Geschickt verstand es Lady Gainsworthy, diesen Vorteil für sich auszunutzen. Die Art, wie sie ihren Ehemann für ihre Zwecke benutzte, war überaus erfolgreich. Es war ein offenes Geheimnis, dass selbst der Chief Commissioner ihre Launen fürchtete und ihr lieber nachgab, als selbst ein Opfer ihres Unmuts zu werden. Lady Gainsworthy ging unter vorgehaltener Hand der Ruf voraus, dass durch ihren Einfluss schon so manche verheißungsvolle Offizierskarriere beschleunigt oder frühzeitig beendet worden war, wenn der Betreffende ihr nicht zu Willen sein wollte. Jella fürchtete die Begegnungen mit dieser Frau, denn es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mit ihr aneinandergeraten würde.

    Von Westen her zogen tiefschwarze Wolken über der Stadt auf. Ein starker Wind türmte sie rasch zu riesigen Wolkenbergen. Die Luft war unerträglich schwül und voller Elektrizität.
    »Wo bleibt Ricky nur?«, sorgte sich Jella. »Es ist schon längst dunkel, und sie ist immer noch nicht da!«

Das Wagenfest
    »Du musst ganz leise sein!«
    Radhu zog Ricky von der Treppe weg in einen schmalen, dunklen Gang, an dessen Ende sich eine Falltür befand. Das fünfzehnjährige Blumenmädchen lauschte kurz, dann öffnete sie vorsichtig die Klappe und stieg hinunter. Ricky folgte ihr. In dem kleinen Raum war es stickig und heiß. Als sie sich aufrichtete, stieß sie sich den Kopf an.
    »Autsch!«
    Radhu hob erschrocken den Finger vor den Mund und lauschte in die Dunkelheit. Nichts tat sich. Ricky hörte Stimmen von dem Raum direkt neben ihnen. Fragend sah sie ihre Freundin an.
    »Das ist die Familie des Hausbesitzers. Sie verfolgen den Umzug vom Raum nebenan«, erklärte Radhu und fügte stolz hinzu: »Ich habe diesen kleinen Speicherraum schon als Kind entdeckt und komme öfters hierher. Du bist die Erste, der ich ihn zeige.«
    Ricky brauchte eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte. Die niedere Kammer, in der sie sich befanden, war Teil eines heruntergekommenen Hauses, das sich genau an der Straße befand, an der gleich der große Tempelumzug vorbeiführen würde. Der Raum wurde seit Jahren nicht benutzt. Früher mussten hier einmal Waren, die Luft benötigten, gelagert worden sein. Deshalb war die steinerne Außenwand in regelmäßigen Abständen durchlöchert. Für die beiden jungen Frauen hatte das den Vorteil, dass sie ungehindert hinunter
auf die Straße blicken konnten. Ricky raffte ihren Sari und machte es sich auf dem Boden bequem. Wäre ihre Haut nicht porzellanfarben gewesen, hätte man sie für eine Inderin halten können. Radhu setzte sich neben sie. Sie mussten noch eine ganze Weile warten, bevor das große Wagenfest zu Ehren des Hindugottes Lord Jagannath losging. Jagannath war eine von neun Inkarnationen des Gottes Vishnu. Sein Name

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