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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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dem Höllenlärm schritt nun ein mächtiger Elefantenbulle einher. Kopf, Rüssel und Ohren waren mit bunten Ornamenten bemalt, während mehrere Blumengirlanden aus Lotus und Hibiskus an seinen Flanken herabhingen. Hinter seinen Ohren saß der stolz lächelnde Mahout mit dem riesigen, roten Rajputhenturban. Die Menge jubelte ihm zu und lobte lauthals das prächtige Aussehen seines Elefanten. Nun folgte eine Gruppe von Flötenspielern und Trommlern. Der durchdringende, weittragende Ton der Nagesh-warams wurde von dem sonoren Klang der Thavil-Trommeln begleitet. Ricky fühlte die Resonanz der Instrumente in ihrem ganzen Körper. Auf einem von einem Kamel gezogenen Wagen saß eine Gruppe Frauen. In ihren Nasen steckten große, goldene Ringe, und ihre Arme und Beine waren ebenfalls mit Schmuck behängt. In der Mitte des Wagens brannte ein heiliges Feuer, um das sie kauerten und mit heiseren Stimmen Mantras sangen. Zwischen den einzelnen Gruppen drückten sich Essensverkäufer und Wasserträger herum. Für ein paar Rupien konnte
man sich den an einer Kette hängenden Metallbecher von einem tragbaren Wassertank auffüllen lassen und daraus trinken. Direkt unter den beiden Mädchen befand sich ein Wagen voller Zuckerrohr. Mit einer Metallpresse quetschte der Verkäufer Saft aus dem Zuckerrohr und verkaufte ihn an die Passanten. Mit Asche beschmierte Sadhus, die außer einem Lendentuch um ihre Hüften nichts anderes trugen, trabten mit ins Jenseits gerichteten Blicken an ihnen vorbei. Einige der nach Erleuchtung suchenden Männer waren bis auf das Skelett abgemagert. Wahrscheinlich hungerten sie schon lange, um ihrer Erlösung näher zu kommen. Andere waren ziemlich fett und sahen keineswegs so aus, als würden sie sehr darben. Ricky wusste, dass von Männern aus reichen Familien erwartet wurde, dass sie eine kurze Zeit unter den Heiligen lebten, weil es gut für ihr Karma war. Ein ohrenbetäubender Trommelklang, der von einer riesigen Dhol herrührte, kündigte endlich die Trimurta, die Dreigottheit des Lord Jagannath, an. Doch bevor der erste Wagen um die Ecke bog, stolzierten schlanke Frauen mit farbenprächtigen Saris in Gelb-, Rot-, Grün- und Blautönen an ihnen vorüber. Auf ihren Köpfen balancierten sie glänzende Metallgefäße, die Kalashs, in denen ein Kohlefeuer brannte. Dann erschien der erste Wagen. Ricky hielt die Luft an. Das von oben bis unten mit Silber beschlagene Gefährt war an die sechs Meter hoch. Sie konnte direkt einen Blick auf das auf Blumen thronende Idol werfen. Irgendwie war sie enttäuscht, denn Lord Jagannath war nichts als eine kleine, aus Niem-Holz geschnitzte Statue mit einem viel zu großen Kopf und überdimensionalen Augen, der auf einem einfachen Körper ohne Arme und Beine thronte. Sein Gesicht war schwarz, und sein Körper war in ein gelbes, kostbares Gewand gehüllt. Auf Radhus Gesicht erschien ein verzücktes Lächeln. Sie legte ihre Hände zusammen und berührte damit immer wieder ihre Stirn.
    »Nilaachala-nivaasaaya, nityaaya paramaatmane;

    balabhadra subhadra bhyaam, jagannaathaaya te namah«, intonierte sie das Mantra, das die Verehrung der Gottheit und ihre Bitte um Erlösung von ihren Sünden zum Ausdruck brachte. Als der zweite und schließlich auch der dritte Wagen endlich vorübergezogen waren, ertönte der ziehende Klang von Sitar und Vina, die von mehreren Tablas begleitet wurden. Der warme, volle Klang der gurgelnden Trommeln, der von den Zupf- und Streichinstrumenten melodiös umspielt wurde, brachte Rickys ganzen Körper zum Vibrieren, und sie ertappte sich dabei, wie sie sich zum Rhythmus der Melodie zu wiegen begann. Und dann kamen sie. Zwölf Mädchen, einige von ihnen höchstens zwölf Jahre alt, wiegten sich im Rhythmus der klassischen indischen Instrumente. Sie trugen allesamt rote Seidensaris, deren Ränder mit blauvioletten Bordüren reich verziert waren. Um ihre Taillen lag ein Gürtel aus mehreren Reihen unterschiedlich großer Glöckchen. Eine breite Silberkette mit einem Amulett zierte ihren Hals, während die Glöckchen um Fußund Handgelenke die Musik rhythmisch untermalten. Auf den Köpfen trugen sie ein kostbares Diadem, das mit unterschiedlich großen roten Rubinen durchsetzt war, und ihre Stirn zierten taubeneigroße Opale. Die Bewegungen der Tänzerinnen waren fließend wie ein munterer Bach am Ende der Monsunzeit. Dann verhielten sie für einen Augenblick und erstarrten mit angewinkeltem Bein und über dem Kopf gefalteten Händen in einer ruhigen

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