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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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schließlich nach. Ricky musste auf ihrer Flucht den Sari etwas raffen, da er sie am schnellen Lauf hinderte. Noch bevor sie die nächste Kreuzung erreicht hatte, hatte einer der Männer sie an der Schulter gepackt. Die anderen folgten ihm und umzingelten sie. Es waren drei betrunkene Männer. In ihren dunklen Augen funkelten Gier und Gewaltbereitschaft.
    »Ich will als Erster«, forderte der größte der drei Männer. Er war ein hagerer Mann mit eingefallenen Wangen und einem schwarzen Schnurrbart. Er riss Ricky den Sari vom Kopf und griff grob in ihr Haar, um sie an sich heranzuziehen. Sein Atem roch nach fauligen Zähnen.
    »Lass mich los«, wimmerte Ricky. Sie hatte schreckliche Angst und zitterte wie Espenlaub. In ihrer Panik hatte sie Englisch gesprochen. Der Hagere lachte rau. »Sieh an, eine Engländerin. So eine wollte ich schon längst mal ficken.«
    Er stieß Ricky auf den Boden und löste gleichzeitig seinen Dhoti. Eilig begann er ihren Sari hochzuschieben. Ricky schloss die Augen. Ihre Hände krallten sich in den staubigen Boden. Sie war auf das Schlimmste gefasst. Doch plötzlich hörte sie Schritte. Einer der Betrunkenen rief.
    »Das sind Hijras! Bloß weg von hier!«
    Der Hagere ließ einen Moment von Ricky ab und sah auf.
»Verdammt!«, knurrte er. »Mit denen ist nicht zu spaßen. Machen wir, dass wir fortkommen!« Er band rasch seinen Dhoti um und stolperte seinen Freunden nach.
    Ricky blieb wie versteinert am Boden liegen. Ihr Herz raste, während ihr Körper von einem unkontrollierbaren Zittern erfasst wurde. Tränen rannen über ihr nun schmutziges Gesicht, als sie entsetzt in das Gesicht einer dieser erschreckenden Mannfrauen sah. Es war dieselbe Frau – war es wirklich eine Frau? –, die ihr das Öllämpchen gereicht und so unanständig den Sari angehoben hatte. Ihre langen Finger strichen zart über ihre Wange, während die schwarz umrandeten Augen sie mitleidig musterten.
    »Ruhig, meine Kleine, ganz ruhig«, sprach sie mit ihrer tiefen Stimme. Das Obszöne, Vulgäre darin war vollständig verschwunden. Ricky begann sich tatsächlich langsam zu beruhigen. Sie fühlte, wie das Zittern und die Starre nachließen. Die Hijra half ihr, sich aufzusetzen. Sie musterte sie eindringlich und warf den anderen einen mehrdeutigen Blick zu.
    »Du bist Engländerin?«, fragte sie interessiert. Ricky zuckte leicht mit den Schultern. »Ich bin in Südwestafrika geboren«, sagte sie leise. Die Hijra lächelte zufrieden.
    »Das spielt keine Rolle. Du siehst auf jeden Fall schrecklich aus.« Sie oder er machte eine ausladende, leicht übertrieben wirkende Bewegung. »Komm mit in unseren Gurukulam. Er ist gleich um die Ecke. Dort können wir dein ramponiertes Äußeres wieder ein wenig auffrischen. Danach sehen wir weiter.«
    Ricky nickte ergeben. Sie war viel zu erschöpft, um sich noch gegen irgendetwas zu wehren. Außerdem stand sie immer noch unter Schock.

Entscheidungen
    »Riccarda?«
    Jella, gefolgt von Fritz, trat in die Dunkelheit des Zimmers. Sie rief nochmals nach ihrer Tochter, aber es blieb still. Fritz schaltete das elektrische Licht an. Gleißende Helle erfüllte den Raum mit dem unbenutzten Bett.
    »Sie ist nicht da!«, stellte Jella fest.
    Sie sah Fritz fragend an. Aus Angst vor einem neuen Schock trat er rasch zu ihr.
    »Reg dich bitte nicht auf«, bat er, »es gibt bestimmt eine einfache Erklärung.« Erschrocken registrierte er, wie Jellas Blick wieder starr wurde. Sie stand wie festgefroren vor dem leeren Bett.
    »Ist alles in Ordnung, Liebes?« Seine Stimme bebte.
     
    In Jellas Kopf explodierte in diesem Moment ein ganzes Blitzgewitter. Fetzen von Erinnerungen bahnten sich ihren Weg aus dem Vergessen und fügten sich kaleidoskopartig zu einem Ganzen: die Schlange in ihrem Bett – Fritz, der das Reptil wegschleuderte – das Aufbäumen der Schlange – Ricky, die schrie – und schließlich der Kampf um ihr Leben, den sie verloren geglaubt hatte …
    Fritz’ ängstliche Frage riss sie zurück in die Realität.
    »Ich bin in Ordnung«, sagte sie leise. »Ricky lebt, nicht wahr?«
    »Aber ja! Sie ist wieder völlig gesund!«, versicherte Fritz eilig. »Alles wird gut!«
    »Du musst keine Angst haben.« Ihre Stimme wirkte hölzern.
»Es ist nur, dass ich mich gerade eben wieder an alles erinnert habe.« Sie strich sich mit der Hand über die Stirn, so als wolle sie jede schlimme Erinnerung damit löschen.
    »Hattet ihr Streit?«, fragte sie unvermittelt. Plötzlich war sie wieder ganz die

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