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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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kühle, überlegene Denkerin. Fritz musterte sie überrascht.
    »Das kann man wohl sagen«, meinte er zerknirscht. »Ich habe ihr gesagt, dass wir alle nach Afrika zurückkehren. Man hatte mir Hoffnungen gemacht, dass du dich dort erholen könntest. Ricky hat äußerst übertrieben reagiert. Sie weigerte sich mitzukommen und war schrecklich wütend und aufgebracht. Eigentlich weiß ich gar nicht, warum.«
    Jella überlegte.
    »Ricky ist viel zu ängstlich, als dass sie einfach ausreißen würde. Sie ist bestimmt bei einer Freundin und übernachtet dort. Sie wollte dir einen Schreck einjagen, damit du siehst, wie ernst es ihr ist.«
    Fritz sah sie zweifelnd an. »Dann lass uns das schnell nachprüfen.«
    Während Fritz aus dem Zimmer eilte, um Bali zu wecken, damit er sich bei den O’Brians nach Ricky erkundigte, begab sich Jella zurück in ihr Zimmer, um sich anzukleiden. Ihr fiel plötzlich das Blumenmädchen am Jagdish-Tempel ein, mit dem Ricky sich angefreundet hatte. War sie nicht auch mit ihr am Wagenfest unterwegs gewesen? Gut möglich, dass sie bei ihr war. Dort würde sie als Nächstes nachsehen. Sie wusste, wo Radhus Familie lebte, seit sie die Zähne ihres Vaters behandelt hatte. Trotz all ihrer Sorge erkannte Jella, dass sie und ihre Tochter sich gar nicht so unähnlich waren. Als sie jung gewesen war, hätte sie vielleicht ähnlich trotzig gehandelt. Sie nahm sich fest vor, ihrer Tochter in Zukunft mehr Verständnis entgegenzubringen.

    Als Ricky erwachte, drang helles Sonnenlicht in den Raum. Verstört betrachtete sie die fremde Umgebung, in der sie sich befand. Sie lag auf einem breiten, mit Schnitzereien verzierten Bett, über das ein blauer Baldachin gespannt war. Neben sich fand sie eine Schnur, an der man den Baldachin beiseiteziehen konnte. Hätte sie es getan, so hätte sie sich selbst in einem großen Spiegel betrachten können. Doch der Gedanke lag ihr fern. Stattdessen richtete sie sich auf und betrachtete die bunt bemalten Wände ihres Zimmers. Angeekelt wandte sie sich sofort wieder ab. Was sie dort sah, ließ sie vor Scham erröten. Die Wände waren allesamt mit obszönen, manchmal sogar gewalttätigen Bildern ausgestaltet. Sie zeigten in allen Einzelheiten, wie Männer mit Frauen, Frauen mit Frauen und Männer mit Männern sich körperlich vergnügten. Ricky hatte bislang nur eine vage Vorstellung von körperlicher Liebe, aber das, was sie hier sah, machte ihr Angst und stieß sie zutiefst ab. Erschrocken stellte sie fest, dass sie nur leicht bekleidet war. Außer ihrem Unterrock und der kurzen Bluse trug sie nichts. Wo war ihr Sari? Erleichtert entdeckte sie ihn, sauber und ordentlich zusammengelegt, auf einem Hocker. Rasch stand sie auf und wickelte sich den Stoff um ihren Körper. Sie musste sofort nach Hause. Ihr Vater würde sich schreckliche Sorgen machen – und das alles nur wegen Mukesh. Wie ein Gespenst war er wieder in ihren Gedanken lebendig. Es tat so weh, an ihn zu denken. Sie versuchte, die Erinnerung an ihn zu bannen, doch der Schmerz loderte wie ein Feuer in ihr. Mit tränengefüllten Augen trat sie aus dem Zimmer hinaus auf einen Flur, der sich zu einem Innenhof hin öffnete. Sie befand sich im ersten Stock einer Galerie, die um den Innenhof herumging, und versuchte sich zu erinnern, wo die Treppen hinunterführten. Wie war sie überhaupt hier hochgekommen? Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie mit den Hijras in ihren Gurukulam gegangen war. Sie wollte sich nur schnell frisch machen. Dann
sollte sie nach Hause gebracht werden. Die Anführerin (oder der Anführer, je nachdem), die sich als Chitra vorgestellt hatte, war sehr freundlich gewesen und hatte ihr einen Tee bringen lassen. Danach musste sie wohl eingeschlafen sein.
    Vom Innenhof drangen Stimmen zu ihr hoch. Ricky wollte sich eben bemerkbar machen, als sie hörte, wie man über sie sprach. Sie trat schnell weg von der Brüstung und lauschte.
    »Ich bin der Meinung, dass wir ein ordentliches Lösegeld verlangen sollten«, sagte eine raue, ziemlich männlich klingende Stimme.
    »Wie stellst du dir das vor?«, hörte Ricky Chitras sanftere Stimme. »Sie hat uns gesehen. Sie wird uns verraten.«
    »Wir beide könnten für eine Weile die Stadt verlassen. In ein paar Monaten ist Gras über die Sache gewachsen, und wir kehren wieder zurück.«
    »Ich weiß nicht. Der Gedanke gefällt mir nicht. Außerdem können wir sie nicht lange hier verstecken«, meinte Chitra. »Du kennst doch die Engländer. Bei

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