Sehnsucht nach Owitambe
fleckigen Dhotis balancierten Berge von Fladenbroten
auf ihren Köpfen. Wasserverkäufer, Rikschafahrer, Frauen in bunten Saris, die auf dem Boden Haushaltsartikel verkauften. Das Klingeln in den Gebetstempeln, der Wirrwarr an Sprachen. Dazwischen britische Uniformierte hoch zu Ross, die in ihren gestärkten Uniformen einen seltsamen Kontrast zu dem einfachen Straßenleben bildeten. Das alles würde sie nun verlassen. Sie seufzte. Ganz im Gegensatz zu ihren Eltern freute sie sich immer noch nicht auf das neue Leben in Afrika. Indien war ihre Heimat. Deshalb nahm sie sich fest vor, sich in Afrika niemals heimisch zu fühlen.
Kurz vor dem Landungssteg platschten die ersten untertellergroßen Regentropfen auf sie herab. Fritz trieb nochmals zur Eile an, als er sah, dass der Schiffsoffizier bereits Anstalten machte, den Landungssteg einzuziehen. Sie waren auf ihrem Weg vom Hotel zum Hafen aufgehalten worden, als sie mit ihren Rikschas mitten in eine wilde Massenschlägerei geraten waren, die sämtliche Straßen blockiert hatte. Bis die Polizei vor Ort gewesen war, um die Streithähne voneinander zu trennen, war kostbare Zeit verronnen. Der Bordoffizier gab zwei Matrosen ein Zeichen, woraufhin sie nochmals von Bord stiegen, um das Gepäck nach oben zu schaffen. Fritz übergab unterdessen die Bordkarten, während Jella und Ricky den Matrosen über die schmale Brücke an Bord folgten.
Das Dampfschiff, das sie zunächst nach Kapstadt bringen würde, war riesig. Obwohl Ricky sich vorgenommen hatte, nichts auf der Reise schön zu finden, war sie beeindruckt. Wie ein großes Haus türmte sich das dreigeschossige Oberdeck auf dem Schiffsrumpf. Es war in strahlendem Weiß gestrichen. Im Innern befanden sich ihre Kabinen sowie mehrere Aufenthaltsräume und der Speisesaal. Sogar ein Kasino und ein Tanzsaal waren vorhanden. Entlang der Deckaufbauten standen Sonnenstühle und kleine Tische, an denen livrierte Schiffsbedienstete Tee, Konfekt und Erfrischungsgetränke servierten. Jella und
Fritz teilten sich eine Kabine, Ricky bekam direkt neben ihnen eine eigene. Die Kabinen waren nicht besonders groß, dafür zweckmäßig und gemütlich. Ricky hielt es nicht lange in ihrer stickigen Unterkunft. Sie ließ ihren Koffer unausgepackt und begab sich sofort wieder an Deck. Die drei gewaltigen schwarzen Kamine des Schiffes stießen mittlerweile schwarzen Dampf in den blaugrauen Monsunhimmel, der seine Schleusen nun voll geöffnet hatte. Hellgraue Regenschleier peitschten über den Hafen und die dahinter liegende Stadt. Ein lautes Tuten gab das Zeichen, dass ihr Schiff ablegte.
Ricky stand mit der Stirn an die regennasse Glaswand gelehnt, die sie vom Außendeck trennte, und ließ ihren Tränen freien Lauf. Als das Schiff sich langsam von der Kaimauer zu lösen begann, wuchs in ihr der unbändige Wunsch, noch schnell an Land zu springen. Ihr war, als verlöre sie alles, woran sie bisher gehangen hatte – ihre Erinnerungen, ihre Freunde und Mukesh. Sie hatte ihn nicht vergessen können, obwohl sie sich alle Mühe gegeben hatte. Es tat immer noch weh, an ihn zu denken. Manchmal glaubte sie, dass der Schmerz niemals nachlassen würde, vor allem, nachdem sie ihm noch einmal nach jener schrecklichen Nacht bei einer Audienz des Maharana begegnet war. Wie unnahbar und fremd er in seiner Uniform gewirkt hatte. Um ihm nicht begegnen zu müssen, war sie in den Garten geflohen. Doch Mukesh hatte es bemerkt und war ihr gefolgt. Plötzlich war er hinter einem der Rosenbüsche hervorgetreten. Ihm blieb nicht viel Zeit, etwas zu sagen, weil andere Gäste sich ihnen näherten. Die kurze Zeitspanne, die ihnen blieb, nutzte er, um ihr etwas zuzuraunen. Ricky war sich immer noch nicht sicher, ob sie sich seine Worte nicht nur eingebildet hatte, aber in ihrer Erinnerung hatte Mukesh zu ihr gesagt: »Vergiss mich nicht! Ich werde dich immer lieben.« Sie war überrascht gewesen, erschrocken, geschockt, dann war sie überstürzt davongerannt, um sich in einer einsamen Ecke des
Gartens weinend zu verkriechen. Sie hatte Mukeshs Worte anfangs wie eine Ohrfeige empfunden. Ihr mühsam unterdrücktes Liebesleid war wie eine kaum verheilte Wunde nochmals aufgeplatzt. Wollte er sie verhöhnen?
Irgendwann hatte ihre Mutter sie entdeckt. Sie hatte sie wortlos in den Arm genommen und über ihren Kopf gestreichelt. Ricky war ihr noch heute dankbar, dass sie nicht nachgefragt hatte, sondern einfach für sie da gewesen war. Irgendwann hatte sie von sich aus von ihrer Liebe
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