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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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Stadt kümmert. Man nennt sie Memsahib Dawa.«
    »Ja, so wird meine Mutter von den Leuten genannt.«
    Die Hijra stand abrupt auf. Ihr geschminktes Gesicht mit den harten, kantigen Gesichtszügen war wie verwandelt.
    »Komm mit mir«, befahl sie ohne Umschweife. »Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«

    Bis weit nach dem Morgengrauen hatten Jella und Fritz alle Gassen der Stadt durchstreift und die Menschen, denen sie begegnet waren, nach Ricky befragt. Doch niemand konnte ihnen Auskunft geben. Bali war unverrichteter Dinge von den O’Brians zurückgekehrt, und auch bei den anderen Freundinnen war Ricky nicht gewesen. Müde und erschöpft gingen sie schließlich zurück zu ihrem Haveli, um zu überlegen, was sie als Nächstes unternehmen wollten.
    Jamina, die trotz aller Sorge um Ricky ihre Freude über Jellas Genesung nicht verbergen konnte, tischte ihnen ein kräftiges Frühstück auf, das weder Jella noch Fritz anrührten.
    »Ich werde zum Chief Commissioner und zum Maharana gehen und sie um Hilfe bitten«, meinte Fritz. Er fuhr sich nervös durch sein strubbeliges Haar. Tiefe, dunkle Augenringe ließen
ihn älter aussehen, als er war. Jella konnte ihm deutlich ansehen, dass er sich Vorwürfe machte. Sie selbst wunderte sich über ihre eigene Gefasstheit. Obwohl es keinen Anlass dazu gab, hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass es Ricky gut ging. Ihre Gedanken wanderten zu ihrer Sternenschwester Nakeshi. Sie hatte von ihr geträumt, bevor sie in der Nacht aus ihrer Starre erwacht war – oder war es Wirklichkeit gewesen? Nakeshi hatte sie wachgerüttelt und aus ihrem finsteren Verlies befreit. Sie hatte ihr gesagt, dass sie zurück zu ihrer Familie und auch zurück zu ihr musste. Als ob Fritz ihre Gedanken erraten hätte, meinte er.
    »Ist der Gedanke, nach Afrika zurückzukehren, wirklich so falsch gewesen?«
    Jella sah ihren Mann nachdenklich an.
    »Wenn ich ehrlich bin, dann träume ich jede Nacht, seit wir hier sind, von Owitambe. Und jeden Morgen wache ich mit diesem Gefühl von Sehnsucht auf, das mir sagt, dass ich eigentlich ganz woanders sein möchte als hier in Indien. Ich habe mir immer Mühe gegeben, diese Träume beiseitezuschieben, weil ich wusste, dass unser Leben nun hier stattfindet. Das war viele Jahre auch sicher gut so. Vor allem, als ich endlich als Ärztin arbeiten konnte, war vieles ganz gut zu ertragen, aber mein Herz ist immer in Afrika geblieben.«
    »Mir geht es ebenso«, meinte Fritz. »Ich habe Sehnsucht nach unseren Familien, aber auch nach dem weiten, ursprünglichen Land und den Tieren.«
    Jella lachte laut, auch wenn ihr Lachen nicht wirklich unbekümmert war. »Und ich habe immer gedacht, das Leben hier bedeutet dir besonders viel. Warum haben wir nur nie darüber geredet?«
    »Ich war ein Idiot. Die Anerkennung, die ich durch den Maharana bekommen habe, hat mich blind gemacht. Erst auf der Tigerjagd ist mir klar geworden, dass ich mich all die Jahre
habe verbiegen lassen. Ich werde meine Arbeit am Fürstenhof aufgeben, denn ich bin nicht länger bereit, die Tiere des Maharanas zu pflegen, nur damit er sie nach Gutdünken jagen und vernichten lassen kann. Wir hätten schon viel früher zurückgehen sollen, dann wäre es auch Ricky leichtergefallen.« Er machte Anstalten aufzustehen. »Ich werde jetzt losgehen und die Suchaktion in Gang bringen.«
    Von unten drangen laute Geräusche zu ihnen hinauf. Fritz und Jella sahen sich fragend an. Irgendetwas war geschehen. Sie eilten beide gleichzeitig zur Treppe, wo sie Freudenrufe vernahmen. Sie stammten eindeutig von Jamina, und dann hörten sie Rickys glockenhelle Stimme. Die beiden Eheleute fassten sich kurz an den Händen. Die Sorge fiel wie ein schwerer Sack voller Steine von ihnen beiden ab, und sie lächelten einander erleichtert zu. Im Erdgeschoss erwartete sie ein bizarres Bild. Die zarte Ricky stand in ihrem roten, verschmutzten Sari zwischen zwei hochgewachsenen, stark geschminkten Frauen. Jella und Fritz trauten ihren Augen kaum, als sie erkannten, dass es Hijras waren. Aber dann überwog die Freude über das Wiedersehen. Mindestens ebenso überrascht staunte Ricky über ihre Mutter, die wieder völlig normal schien. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, bevor sie ihr schließlich mit einem lauten Jubelschrei in die Arme lief. Jella war so überwältigt, dass ihr die Tränen nur so aus den Augen liefen. Sie drückte ihre Tochter so heftig an sich, dass diese leicht aufschrie.
    »Du quetschst mir ja die Rippen aus dem Leib«,

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