Sehnsucht nach Owitambe
Großmutter!«
Ihre Tochter bequemte sich nur zögerlich zu ihnen und zeigte wenig Begeisterung. Jella registrierte es mit einem Stirnrunzeln, schwieg aber.
Fritz drängte sie, sich gleich zum Ausgang zu begeben, wo ihr Gepäck bereits auf sie wartete. Jellas Nervosität war nun auch auf ihn übergegangen. Ungeduldig warteten sie, bis sie endlich über den Landungssteg das Schiff verlassen konnten.
Eine kleine, weißhaarige Frau drängte sich energisch durch die Menge auf sie zu. Mit Tränen in den Augen wurden sie von Imelda und ihrem Mann begrüßt.
»Wie schön!«, rief sie immer wieder. »Wie unendlich schön!« Abwechselnd warf sie sich Fritz und gleich darauf ihrer Schwiegertochter in die Arme. Ricky stand etwas abseits und betrachtete die überschwängliche Begrüßung mit sichtlichem Unbehagen. Doch ihre Großmutter überging ihre Unsicherheit und drückte auch sie fest an sich. Anschließend hielt sie Ricky mit ausgestreckten Armen von sich und musterte sie eingehend. Imeldas graue Augen funkelten unternehmungslustig, was Rickys Laune sofort hob. Das freundliche Gesicht ihrer Großmutter bestand aus Hunderten von feinen Fältchen, die wie ein Strahlenkranz in ihr Lächeln einbezogen wurden.
»Was für eine schöne junge Frau!«, lobte sie stolz und führte sie zu Rajiv, der gerade Fritz und Jella begrüßt hatte.
»Das ist Rajiv, mein Mann«, stellte sie vor. Ricky musterte den Inder erstaunt. Natürlich wusste sie, dass der zweite Mann ihrer Großmutter ein Inder war, aber von ihm ging etwas ganz Besonderes aus, das ihr seltsam vertraut vorkam. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, verbeugte sich Rajiv mit einem feinen Lächeln.
»Namaste«, sagte er leise. Sein Haar war mittlerweile schlohweiß geworden und seine Haltung etwas gebeugt. Ansonsten strahlte er immer noch Kraft und jugendliche Neugier aus. Ricky erwiderte die ehrenvolle Begrüßung, und zum ersten Mal seit ihrer Ankunft lächelte auch sie.
Von Swakopmund nahm die kleine Reisegruppe die neue Eisenbahn in Richtung Tsumeb. Über Omaruru fuhren sie weiter in den Norden bis nach Otjiwarongo. Von dort war es nur noch ein Katzensprung bis an den Waterberg. Sie hatten sich darauf geeinigt, erst ein paar Tage in Okakarara bei Imelda und Rajiv zu bleiben, denn Imelda hatte von Owitambe nicht die besten Nachrichten für sie. Unterwegs erzählte sie von dem schrecklichen Vorfall auf dem Sommerfest der Familie Weiß.
»Raffael ist seit damals verschwunden«, meinte Imelda bedrückt. »Er hatte Angst, dass man ihn wegen Mordes anklagen würde. Ansonsten kann ich mir seine kopflose Flucht nicht erklären. Johannes hat dieser Vorfall das Herz gebrochen. Es war schon vorher nicht einfach mit ihm. Seit ihr Afrika damals Hals über Kopf verlassen musstet, hat er sich verändert. Er war oft missmutig und griesgrämig. Immer wollte er, dass alles so lief, wie er es sich in den Kopf gesetzt hatte. Es war nicht leicht mit ihm. Erst als Raffael sich nach seinem Schulabschluss unverhofft doch für die Farm interessierte, wurde er wieder etwas zugänglicher. Leider kam ja kurz darauf dieser schreckliche Unfall! Ich bin sicher, dass der Junge nur aus Notwehr gehandelt hat, auch wenn der alte Nachtmahr das Gegenteil behauptet.«
»Er ist gar nicht tot?«, fragte Jella.
Imelda schüttelte den Kopf. »Dieser Halunke – entschuldigt bitte den Ausdruck – hatte unglaubliches Glück. Nach ein paar Wochen war er wieder vollkommen gesund.«
»Warum hat Vater denn dann nicht nach ihm suchen lassen?«, fragte Jella, die diese Nachricht heftig aufwühlte. »Wenn Nachtmahr nicht getötet wurde, dann steht doch seine Aussage gegen die von Raffael.«
Imelda zuckte hilflos mit den Schultern. »Du kennst doch Nachtmahr. Sein Hass ist grenzenlos. Er hat seine guten Beziehungen zu den Südafrikanern spielen lassen und wird dafür sorgen, dass es zu einer Verurteilung kommt. Außerdem bezeugt seine Frau, dass er unschuldig angegriffen wurde.«
»Isabella? Sie wurde unter Druck gesetzt«, behauptete Jella empört. Fritz’ Gesichtsmuskeln verhärteten sich. »Es wird höchste Zeit, dass man diesem Menschen das Handwerk legt.« Jella legte ihm beruhigend die Hand auf den Unterarm. Sie wusste, wie sehr er nach all den Jahren immer noch unter den Erinnerungen an seine Zeit im Konzentrationslager litt.
Wanderer zwischen den Welten
Rutako näherte sich mit seiner kleinen Rinderherde der Onganda seines Onkels. Das Anwesen bestand aus mehreren Rundhütten und
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