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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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Ihre Laune war besonders schlecht, weil ihre Eltern offensichtlich ihr Versprechen vergessen hatten, mit ihr an diesem Tag einen Ausflug zu machen. Stattdessen drehte sich mal wieder alles um die Farm und den Großvater. Missmutig schlenderte sie auf die Veranda, auf der ihr Großvater wie gewöhnlich saß und in die Savanne starrte.
    »Morgen, Großvater«, murmelte Ricky nicht sehr freundlich. Als er, wie gewohnt, nicht antwortete, lief sie an ihm vorbei zu den Stufen, die hinunter in den Hof führten.
    »Bring mir Kaffee«, forderte Johannes, ohne sie anzusehen. Ricky hielt wütend inne. Natürlich gehörte es sich, dass sie ihrem Großvater den Wunsch erfüllte, aber der Ton, mit dem er seiner Bitte Ausdruck verlieh, stieß ihr an diesem Morgen besonders übel auf. Widerwillig machte sie dennoch auf dem Absatz kehrt und ging zurück ins Haus. Auf dem Herd stand noch eine Kanne mit altem Kaffee. Sie goss einen Becher voll und brachte ihn wortlos zu dem Beistelltisch neben ihrem Großvater. Ohne Dank nahm er das Getränk entgegen.
    »Der Kaffee ist kalt«, klagte er. »Bring mir frischen!«
    »Es ist kein anderer Kaffee mehr da«, meinte Ricky schnippisch.
    »Dann bring mir meine Medizin«, forderte der Großvater.
Er sah sie herausfordernd an. »Du findest sie hinter der Wäsche im Schrank.«
    Ricky wusste sofort, was er meinte.
    »Mutter möchte nicht, dass du trinkst«, sagte sie fest.
    »Das geht sie gar nichts an! Immer mischt sie sich in meine Angelegenheiten. Außerdem trinke ich nicht aus Spaß, sondern weil ich den Alkohol brauche.« Er streckte ihr seine zitternden Hände entgegen. »Ich möchte lediglich, dass das Zittern aufhört.«
    »Ich werde dir das Zeug auf keinen Fall bringen«, hörte Ricky sich zu ihrer eigenen Überraschung sagen. Ihr Missmut und ihre schlechte Laune ließen sie für einen Augenblick jede Höflichkeit vergessen. Johannes sah sie überrascht an, nickte grimmig, erhob sich tatsächlich von seinem Stuhl und schlurfte in Richtung Eingang.
    »Warum lässt du dich nur so gehen?«, blitzte Ricky auf. Ihr aufgestauter Unmut richtete sich nun vollends auf den Großvater. »Meinst du vielleicht, du bist der Einzige, dem in seinem Leben nicht alles gefällt?«
    Johannes, der bereits in der Tür halb verschwunden war, hielt inne. Langsam, vor Selbstmitleid zerfließend, drehte er sich um.
    »Sieh dich doch um«, klagte er, »alles, was ich einmal aufgebaut habe, ist dahin. Mein Sohn ist auf der Flucht, seine Mutter hat mich verlassen. Ich bin zu nichts mehr nütze.«
    »O ja!«, rief Ricky aufgebracht. »Und das lässt du uns jeden einzelnen Tag spüren. Aber ich habe dein ewiges Jammern satt. Ich kann nicht glauben, dass du der Vater meiner Mutter bist. Du bemitleidest dich ständig selbst und gibst anderen die Schuld für deinen Sturkopf. Du machst es dir zu einfach!« Ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten den Großvater an. Sie begann jegliche Hemmung zu verlieren und redete sich richtig in Fahrt. »Meine Eltern haben mich gezwungen, unser schönes Leben in Rajasthan aufzugeben, nur um dir zu helfen. Vater
rackert sich auf der Farm ab und versucht zu retten, was zu retten ist, und Mutter opfert jede freie Minute, um sich um deine kindischen Launen zu kümmern. Dabei sehe ich nicht, dass du wirklich krank bist. Du könntest Vater helfen und die Farm wieder in Ordnung bringen. Mutter möchte wieder eine Krankenstation eröffnen, aber das kann sie nicht, weil du mehr Pflege brauchst als zwanzig wirklich kranke Patienten. Ich wünschte, wir wären nie in dieses gottverdammte Land gekommen. Du weißt gar nicht, wie sehr ich das alles hier hasse!«
    Johannes sagte kein Wort. Erstaunt hatte er die ungestümen Worte seiner Enkelin zu Ende angehört. Als sie schließlich in Richtung der Ställe davoneilte, sah er ihr nachdenklich hinterher.
     
    Als die Familie sich am Abend auf der Veranda zum Essen versammelte, fehlte Johannes. Er hatte sich in seinem Zimmer eingesperrt und antwortete auf kein Klopfen.
    »Was hat er nur jetzt schon wieder?«, wunderte sich Jella genervt. »Ich mache mir langsam wirklich Sorgen.«
    »Lass ihn einfach«, beruhigte sie Fritz. »Irgendwann wird er sich schon wieder beruhigen.«
    »Und wenn er sich etwas …« Jella wollte etwas hinzufügen, schwieg dann aber plötzlich. Ricky ahnte, was sie meinte. War sie am Morgen etwa zu weit gegangen? Die ganze Nacht quälte sie ihr schlechtes Gewissen. Sie war nicht nur respektlos gewesen, sondern hatte ihren Großvater

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