Sehnsucht nach Owitambe
schon viele Gespräche geführt. Ricky folgte ihm widerwillig.
»Dein Großvater ist krank«, versuchte Fritz zu erklären. »Du tust ihm unrecht, wenn du ihn einfach nur verurteilst. Er fühlt sich alleingelassen und braucht jetzt unsere Hilfe. In ein paar Wochen sieht alles ganz anders aus. Er wird genauso gesund werden, wie es deine Mutter auch geworden ist.«
Ricky hatte ihrem Unmut noch mehr Luft machen wollen, aber plötzlich hielt sie beschämt inne. »Du meinst wirklich, dass Großvater nur vorübergehend so schrecklich ist?«, fragte sie unsicher.
»Aber sicher«, versicherte Fritz. »Er ist durcheinander. In ein paar Tagen tut ihm alles leid. Er wird wieder zu Verstand
kommen und genau der Großvater sein, den du dir immer gewünscht hast.«
Ricky fing plötzlich an zu schluchzen.
»Alles ist so fremd hier. Die Menschen hier wirken feindselig und abweisend. Die Landschaft mit den wilden Tieren macht mir Angst. Außerdem vermisse ich Jamina und Bali, meine Freunde, und am meisten das Tanzen und die Musik. Hier gibt es ja nicht einmal ein Klavier. Ich will wieder zurück nach Indien.«
Fritz zog seine Tochter an sich und streichelte ihr behutsam über den Rücken.
»Deine Mutter und ich verstehen dich sehr gut«, meinte er. »Uns ging es damals in Indien genauso, wie es dir heute in Afrika geht. Wir fühlten uns fremd und hilflos, entwurzelt und ohne Perspektive, aber dann haben wir eingesehen, dass Heimat nicht nur bedeutet, in einem bestimmten Land zu leben, das einem vertraut ist, sondern dass es auch bedeutet, dort zu sein, wo die Familie ist. Gib dir und uns ein wenig Zeit. Irgendwann wird es für dich nur noch halb so schlimm hier sein.«
Ricky wirkte nicht sehr überzeugt. Immerhin ließ sie sich dazu überreden, wieder zum Haus zurückzugehen.
Die nächsten Tage und Wochen machten sich alle daran, die gröbsten Missstände auf der Farm zu beseitigen. Gemeinsam mit Teresa machten sich Jella und Ricky daran, das Farmhaus zu putzen und wieder einigermaßen gemütlich herzurichten. Fritz beriet sich unterdessen mit dem alten Samuel und dessen Sohn. Mateus zeigte sich verstockt und wenig zugänglich. Fritz versuchte es mit Freundlichkeit und Nachsicht, doch der junge Mann machte es ihm weiterhin schwer. Er tat zwar, was man von ihm verlangte; darüber hinaus machte er keinen Finger krumm. Immer wieder versuchte er die Ursachen für Mateus’ Ablehnung zu ergründen, doch der Herero verhielt sich
abweisend und stur. Abends verließ er oft früher als die anderen seine Arbeit. Außerdem fehlten kleinere Mengen an Futtermitteln. Schon bald kam Fritz auf den Gedanken, dass Mateus ein Geheimnis hatte. Durch Zufall kam er ihm schließlich auf die Schliche.
Fritz, Mateus und Josua waren ausgeritten, um den Bestand an Rindern zu sichten, die zu Owitambe gehörten. Johannes hatte die Rinderzucht nie ganz aufgegeben, sie aber weitgehend in die Hände der Farmarbeiter gelegt. Die Karakulschafe hatte er nach Raffaels Verschwinden zum größten Teil verkauft, weil er keinen Sinn mehr darin sah, weiterhin zu expandieren. Nur ein paar der besten Zuchttiere hatte er behalten, ohne sich um sie zu kümmern. Als Fritz fragte, wo sie geblieben waren, erzählte ihm Mateus, dass sie eines Tages aus einem schlecht verschlossenen Pferch verschwunden waren.
»Wahrscheinlich haben die Hyänen sie geholt«, hatte er gebrummt. »War wohl auch besser so.« Johannes hatte sich tatsächlich nichts aus dem Verschwinden seiner Tiere gemacht. Für ihn war es nur ein weiterer Grund gewesen, sich noch weiter in seinen Trübsinn und den Alkohol zu vergraben. Doch Fritz kam Mateus’ Version der Geschichte im Nachhinein äußerst fragwürdig vor, zumal Samuel ihm erzählt hatte, dass Mateus’ Interesse immer den Schafen gegolten hatte. Er hatte sich früher vorbildlich um die Tiere gekümmert. Weshalb sollte er dann vergessen, den Pferch zu schließen? Als sie kurz vor Sonnenuntergang nach Owitambe zurückkamen, verabschiedete sich Mateus wie gewöhnlich eilig von den anderen. Fritz wartete einen Augenblick und folgte ihm dann unbemerkt. Erst glaubte er, dass sich der Herero in das nahe gelegene Hererodorf aufmachte, um dort mit den anderen jungen Männern Maisbier zu trinken. Doch nach etwa einem Kilometer schlug er einen Weg ein, der mitten in die Wildnis führte. Ein schmaler Pfad führte durch dichtes Baumdickicht in hügeliges Gelände, das in einem
von Felsen umschlossenen Tal endete. Fritz hatte sein Pferd
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