Sehnsucht nach Owitambe
zurückgelassen und folgte dem Mann zu Fuß. Zu seinem Erstaunen hörte er schon bald das Blöken von Schafen. Leise näherte er sich der Stelle und traute seinen Augen kaum, als er einen perfekt gebauten Schafpferch entdeckte, in dem sich gut zwei Dutzend Schafe und mindestens ebenso viele Lämmer tummelten. Ohne Zweifel handelte es sich um die verschwundenen Karakulschafe. Mateus hatte aus behauenen Ästen und Zweigen einen Unterstand für die Tiere gebaut und den Pferch mit Dornengestrüpp gegen Wildtiere geschützt. In einem zweiten Unterstand hatte er Futter für die Tiere gehortet. Fritz wusste sofort, woher das Futter stammte. Sein Schwiegervater hatte schon lange keine Bücher mehr geführt. Ihm war sicherlich nie aufgefallen, dass ein Teil des Futters nicht für die Tiere auf der Farm verwendet wurde. Einem ersten Impuls folgend wollte Fritz Mateus gleich zur Rede stellen, doch dann beobachtete er, mit welcher Hingabe der junge Herero sich um die Tiere kümmerte. Er begrüßte jedes einzelne Tier, streichelte es und sah nach, ob es ihm gut ging. Eines hatte sich einen Dorn in den Fuß getreten. Mit einem geschickten Wurf brachte er es zu Fall und rieb die Stelle mit einer Paste ein, die er in einem Lederbeutel um seine Hüften trug. Fritz entschied, sich unbemerkt zurückzuziehen. Das ablehnende Verhalten des Herero war ihm nun nicht länger mehr ein Rätsel. Er hatte offensichtlich ein schlechtes Gewissen und wusste nicht, wie er sich seinem Herrn gegenüber verhalten sollte. Außerdem hatte er Angst, dass ihm jemand auf die Schliche kommen und ihn womöglich des Diebstahls bezichtigen konnte. Mateus musste in diesem Fall damit rechnen, dass sie ihn und seine Familie von der Farm jagten. Obwohl Samuels Sohn kein besonders freundlicher Mann war, glaubte Fritz nicht, dass er sich an den Tieren bereichern wollte. Vielmehr ahnte er, dass der Herero es einfach nicht hatte mit ansehen können, wie sein Herr die Tiere verkommen
ließ. Konnte es sein, dass sowohl Johannes als auch Samuel nie Mateus’ wirkliche Interessen wahrgenommen hatten?
Er beschloss, erst einmal nichts zu unternehmen, sondern sich mit Jella zu beraten. Gemeinsam mussten sie einen Ausweg suchen, wie der junge Herero ohne Gesichtsverlust sein Unrecht wiedergutmachen konnte.
Ricky ging ihr Großvater und das Getue, das man um ihn herum machte, jeden Tag mehr auf die Nerven. Bislang hatte der alte Mann sie immer noch nicht richtig zur Kenntnis genommen. In den seltenen Fällen, in denen er das Wort an sie richtete, behandelte er sie wie eine Bedienstete. Wusste er überhaupt, dass sie seine Enkelin war? Warum drangsalierte er alle mit seiner mürrischen, feindseligen Art, anstatt dankbar zu sein, dass man ihm half? Und dann der Alkohol! Ihre Mutter versuchte immer wieder, ihn vom Trinken abzuhalten. Sie versteckte sogar seine Branntweinflaschen und brühte ihm stattdessen starken Kaffee auf. Scheinbar widerstandslos ließ er sich die Bevormundung durch seine Tochter gefallen, aber Ricky wusste genau, dass ihr Großvater trotzdem trank. Der scharfe Geruch des Alkohols konnte niemandem entgehen. Das alles hätte sie nicht weiter gekümmert, aber schon bald wurde sie den Verdacht nicht los, dass ihr Großvater es insgeheim genoss, sie alle zu tyrannisieren. Mit seiner mürrischen, verschlossenen Art erreichte er, dass sich Jella fast ausschließlich um ihn kümmerte. Rickys Bedürfnisse wurden dadurch völlig an den Rand gedrängt. Auch ihr Vater fand kaum noch Zeit für sie, weil er sich nach Kräften der heruntergekommenen Farm widmete. Stillschweigend wurde von ihr erwartet, dass sie sich in ihr neues Leben einfügte. Aber das wollte sie nicht, und es gelang ihr auch nicht. Wenn sie wenigstens die Möglichkeit gehabt hätte, etwas Musik zu machen oder zu tanzen. Aber daran war nicht zu denken. In dem Haus gab es zwar ein Grammofon, allerdings
fehlte es an geeigneter Tanzmusik. So fühlte sie sich zusehends einsam und fehl am Platz. Ihre Laune wurde täglich schlechter, und der Groll auf ihren Großvater wuchs.
Eines Morgens fragte ihre Mutter, ob sie ihr nicht beim BePflanzen von Sarahs Garten helfen wolle. Ricky hatte schlecht geschlafen und verspürte keinerlei Lust, in dem harten roten Lehmboden herumzuhacken.
»Ich hab Papa versprochen, ihm beim Zählen der neuen Schafe zu helfen«, log sie. Jella seufzte und bat Teresa, ihr zur Hand zu gehen. Ricky war sicher, dass ihre Mutter sie durchschaut hatte, aber das war ihr gleichgültig.
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