Sehnsucht nach Owitambe
Festessen bereitete. Ricky kamen die kleinen, halb nackten Buschmänner anfangs sehr merkwürdig vor. Sie sprachen eine Sprache, die nur aus Klick- und Schnalzlauten zu bestehen schien und sehr seltsam klang. Zu ihrer großen Verwunderung sprachen alle drei ein nahezu perfektes Deutsch. Jella hatte ihr erklärt, dass Nakeshi und sie sich gegenseitig Unterricht gegeben hatten. Ihre anfängliche Befangenheit wich jedoch schnell, als Debe, der vielleicht ein Jahr jünger war als sie, sie fragte, ob sie mit ihm durch den Busch streifen wollte. Debe galt als ausgezeichneter Fährtenleser und hatte ihr erzählt, dass er die Spur einer Warzenschweinfamilie unweit der Farm entdeckt hatte. Er wies auf seinen kleinen, nicht sehr Furcht einflößend aussehenden Bogen und meinte, dass sie keine Angst haben müsste, er würde sie schon beschützen. Ricky lachte nicht sehr überzeugt, folgte aber dem zierlichen jungen Mann in den Busch. In leicht gebückter Haltung
führte Debe sie weg vom Farmgelände an den waldigen Rand des Waterbergmassivs. Sie kletterten einen kleinen Felsabhang hinunter bis zu einer Quelle, die ihr Großvater den Wildtieren überlassen hatte. Tatsächlich turnte eine kleine Gruppe Paviane um das Wasser herum. Während die älteren Tiere sich mit der Hand Wasser in den Mund schaufelten, tollten die jüngeren in ausgelassenen Spielen rund um die Quelle. Sie neckten sich, zogen einander an den Schwänzen oder balgten herum. Immer wieder gab es dabei Streit, der durch dumpfes Grummeln der Alttiere geschlichtet wurde. Ein junger Pavian war besonders dreist. Als ein einzelner Zebrahengst zu der Tränke kam, um ebenfalls zu trinken, kletterte der halbwüchsige Affe auf einen Baum und sprang von einem Ast direkt auf das Hinterteil des Tieres. Das Zebra erschrak und keilte mit beiden Hinterläufen aus, wodurch der Affe in die Luft geschleudert und unsanft auf den Boden geschleudert wurde. Er schrie jämmerlich auf, weil er sich verletzt hatte. Doch die anderen Affen zeigten keinerlei Mitleid. Sie kreischten und fuchtelten wild in seine Richtung. Sie amüsierten sich offensichtlich über ihren allzu übermütigen Kumpanen. Dann ertönte ein Warnschrei, und die Affenhorde galoppierte laut protestierend zurück in den Busch. Nur der wilde Reiter blieb auf dem Boden liegen und versuchte vergeblich, sich aufzurichten. Ricky fiel auf einmal ihr ständig wiederkehrender Albtraum ein. Vor ihrem inneren Auge sah sie den Mann, wie er von den gewaltigen Stoßzähnen des Elefanten durch die Luft gewirbelt wurde und genauso dalag wie dieser Affe. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, dem verletzten Tier zu helfen. In ihrem Traum waren ihr immer die Hände gebunden gewesen, doch jetzt konnte sie endlich etwas tun.
»Wir müssen dem Affen helfen«, erklärte sie Debe. Doch der Buschmann hielt sie zurück. Er hielt seine Nase in den Wind und schnupperte.
»Nicht gehen«, flüsterte er. »Raubtier hier!«
Jetzt nahm Ricky auch den urinscharfen Geruch einer Raubkatze wahr. Sie wusste, dass ein Rückzug ratsam war, dennoch wollte sie den kleinen Pavian nicht seinem Schicksal überlassen.
»Wir müssen dem kleinen Kerl helfen«, drang sie nochmals in Debe. Der schüttelte beinahe amüsiert den Kopf. »Affe muss für Fehler bezahlen«, meinte er ungerührt. »Ich mache keinen Kampf gegen Katze, nur um Affe zu helfen, der nicht einmal schmeckt.«
Ricky war über Debes scheinbare Gefühllosigkeit empört. Es war ihr nicht zu verdenken, da sie mit den klaren Naturgesetzen der Wildnis nicht vertraut war. Bislang hatte sie Wildtiere nur aus sicherer Entfernung beobachtet und noch nie gesehen, wie hart das Überleben in Wirklichkeit war. Sie erinnerte sich, dass ihr Vater früher eine Art Tierauffangstation auf Owitambe gehabt hatte. Bestimmt würde er ihr helfen, den Affen zu retten.
»Ich werde den Affen nicht im Stich lassen«, meinte sie trotzig. »Bis die Raubkatze kommt, habe ich ihn längst geholt.« Noch ehe Debe etwas dazu sagen konnte, lief sie in Richtung der Wasserstelle davon. Der junge Buschmann schüttelte unwillig den Kopf und hielt nach der Raubkatze Ausschau. Dem Geruch nach war es nur ein kleineres Tier, wahrscheinlich ein Gepard. Sie griffen keine Menschen an, es sei denn, sie machten ihnen die Beute streitig. Und genau das würde die Katze in dem verletzten Affen sehen. Er musste dem dummen weißen Mädchen nach, um es zu beschützen. Ricky hatte den jungen Pavian mittlerweile erreicht und bückte sich zu ihm hinab.
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