Sehnsucht nach Owitambe
nickten. »Wir schlagen uns nach Tsumeb durch«, meinte Friedrich. »Dort ist die nächste Befestigung. Der Marsch
durch die Savanne wird hart werden. Wir sollten uns deshalb mit ausreichend Wasser und Proviant eindecken.«
Johannes beschloss, den Planwagen zurückzulassen. Er würde ihnen auf ihrer Flucht nur hinderlich sein. Das Pferd konnte Raffael und den Proviant tragen. Bevor er das Tier abschirrte, vergewisserte er sich, dass Sarah und sein Sohn wohlauf waren. Die beiden hatten sich zwischen Getreidesäcke gekauert und dort die Schießerei abgewartet. Als Raffael sah, dass sein Vater blutete, begann er zu weinen. Sarah machte sich sofort daran, die Wunde zu reinigen und ihrem Mann einen Verband anzulegen, während er ihr erzählte, dass sich die Männer in Richtung Tsumeb durchschlagen wollten.
»Wir könnten uns ihnen anschließen«, schlug Johannes halbherzig vor. »Allerdings entfernen wir uns dann wieder von Owitambe. Aber wir hätten immerhin bewaffneten Geleitschutz. Was meinst du?«
»Deine Tochter bekommt bald ihr Baby. Sie braucht uns.« Sarah sah ihren Mann vertrauensvoll an. Die Missstimmung zwischen ihnen hatte sich mit den weißen Pulverwolken der Kanonen aufgelöst. Johannes wirkte erleichtert. Die Sorge um Jella und die Farm war größer als die Angst vor den Aufständischen. »Dann geht’s jetzt also nach Hause!«
Wenig später trafen sie sich alle auf dem Exerzierplatz des Forts. Die Männer hatten ihre Pferde gesattelt und warteten in der Dunkelheit. Hauptmann Friedrich war umsichtig genug gewesen, die Hufe der Tiere mit Lumpen zu umwickeln.
»So werden wir leiser sein«, meinte er und reichte Johannes ebenfalls ein paar Lumpen. »Haben Sie nur dieses eine Pferd?« Er runzelte besorgt die Stirn. »In diesem Fall müssen wir zwei Pferde doppelt belasten.«
Die drei Farmer sahen sich an. Es war ihnen anzusehen, dass sie damit nicht einverstanden waren. Martens sprach als Erster aus, was sie alle beunruhigte.
»So werden wir es nie schaffen«, knurrte er unzufrieden. »Die Pferde werden das nicht sehr lange aushalten. Wenn wir nur im Schritttempo reiten können, holen uns die Ovambos im Handumdrehen ein.« Die beiden anderen Farmer nickten zustimmend, vermieden es allerdings, Johannes und seine Familie anzuschauen.
»Wir werden es dennoch versuchen müssen«, fuhr Hauptmann Friedrich ungehalten dazwischen. »Entweder wir schaffen es alle oder keiner schafft es!«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, mischte sich Johannes nun ein. Er war eben damit fertig geworden, seinem Pferd die Lumpenschuhe anzuziehen. »Aber wir werden ohnehin nicht mit Ihnen kommen. Unser Reiseziel liegt in einer anderen Richtung. Wir werden über Otawi an den Waterberg ziehen.«
»Das werden Sie nicht schaffen«, gab Hauptmann Friedrich zu bedenken. »Auf Ihrem Weg liegen einige Ovambodörfer. Sie laufen dem Gegner direkt in die Arme.«
»Wir werden nachts reiten und uns tagsüber einen Unterschlupf suchen«, sagte Johannes entschieden. »Unser Entschluss ist gefasst. Wir werden in Richtung Süden ziehen. Möge Gott uns alle beschützen!«
Flüchtlingsleid
Rajiv und Fritz waren nun schon seit gut drei Wochen unterwegs. Rastlos waren sie durch die Omaheke gezogen und versuchten die möglichen Routen, die die verfolgten Herero genommen haben könnten, abzureiten. Traugott Kiesewetter hatte sie schon wenige Tage nach ihrem Aufbruch verlassen. Der großherzige, kleine Missionar war ein Mann Gottes und kein hartgesottener Abenteurer. Schon nach wenigen Tagen hatten die Sonne und das Geruckel auf dem Kutschbock ihn so zermürbt, dass ihn nur noch sein eiserner Wille bei der Stange hielt. Abends war er so erschöpft, dass er sich sofort zur Ruhe legte, manchmal sogar ohne vorher zu essen. Außerdem behinderte sein langsamer Wagen ihr Vorwärtskommen. Als Fritz dem Missionar nach ein paar Tagen riet, in die Missionsstation von Epukiro zu gehen, um sich dort direkt um die bereits geretteten Herero zu kümmern, war er nur allzu gern bereit, den Vorschlag anzunehmen. Das ersparte ihm immerhin den Anblick der ersten Leichen, auf die Rajiv und Fritz kurze Zeit später stießen. Ihr grässlicher Anblick gab einen bitteren Eindruck von dem, was diese armen Menschen in der Wüste erwartet hatte. Von den Schutztruppen getrieben, waren die Herero in verschiedenen Gruppen durch das Sandfeld gezogen. Die öde, flache Wüstenlandschaft zog sich bis ins britische Botswanaland, wo der Stamm bei Verwandten auf Zuflucht gehofft
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