Sehnsucht nach Owitambe
blickte sie auf die Buschmannfrau und das hellhäutige Baby.
Nur langsam ließ sie das Unmögliche in ihren Gedanken zu. Das konnte doch nicht sein!
»Ist das … ist das …?«
Die Buschmannfrau drückte ihr wortlos das Baby in die Arme. Imeldas Tränen versiegten und machten einem ungläubigen Staunen Platz. Wie zart und wohlgestaltet das kleine Mädchen war. Es hatte einen dunklen Haarschopf wie sein Vater und schien auch sonst viel von ihm zu haben. Vorsichtig steckte sie ihren kleinen Finger in den weit geöffneten Mund, der sich zu einem kräftigen Schreien geöffnet hatte. Das Neugeborene beruhigte sich sofort und begann heftig zu saugen. Erneut tippte die Buschmannfrau an ihre Schulter. Sie wirkte besorgt und bedeutete Imelda, ihr zu folgen. Vorsichtige Hoffnung machte sich breit.
»Lebt die Mutter auch?«, fragte sie mit bebender Stimme. Die Buschmannfrau schien sie nicht zu verstehen.
»O mein Gott!« Imelda rappelte sich eilig auf. Kurzerhand übergab sie Teresa das Baby und eilte ihr nach.
Johannes gewöhnte sich nur schwer an seine Gefangenschaft bei den Ovambos. Tage und Wochen verstrichen, ohne dass etwas geschah. Für einen Mann wie ihn war es schwer, zur Untätigkeit verdammt zu sein. Mehrmals versuchte er vergeblich, den Häuptling um ihre Freilassung zu bitten. Nehale gab sich einsilbig und wenig interessiert an seinen Bitten. Ohnehin war er die meiste Zeit unterwegs und ließ sich nur selten in dem Dorf sehen. Hidipo war während seiner Abwesenheit das stellvertretende Dorfoberhaupt, das mit Argusaugen darüber wachte, dass sie keinen Fluchtversuch unternahmen. Er war nicht unfreundlich, doch er zeigte ihnen unmissverständlich, dass sie Gefangene waren. Das Dorf bestand aus etwa fünfzehn Kraalen, Rundhütten, die nur einen Eingang, aber kein Fenster hatten. Besonders im Sommer war es darin unerträglich heiß, und die Luft war abgestanden und muffig. Anfangs verbrachte die Familie viel Zeit in der Hütte. Man brachte ihnen Essen und Trinken und ließ sie nur die Notdurft draußen verrichten. Nach einiger Zeit stellte Hidipo einen grimmig dreinblickenden Hünen ab, der sie auf Schritt und Tritt begleitete. Mit ihm durften sie sogar das Dorf verlassen, allerdings niemals gemeinsam. Um das Dorf befand sich ein Palisadenzaun. Außerhalb weideten die Rinder, wobei die Hirten darauf achteten, dass die Tiere nicht in die Nähe der aus Gras geflochtenen Getreidespeicher kamen, die auf Stelzen standen. Sarah warnte ihren Mann und ihren Sohn, sich nicht zu sehr mit den Ovambos einzulassen.
»Sie haben mächtige Zauberer, die gern Todesflüche ausstoßen«, meinte sie. »Außerdem soll es in jedem Dorf Hexen geben, die Krankheiten und Unglück heraufbeschwören können.«
Johannes gab nicht viel auf Sarahs Aberglauben und die damit verbundene Gefahr, wurde allerdings schon bald eines Besseren belehrt. Eines Tages kam ein Zauberer in das Ovambodorf. Es handelte sich um einen hochgewachsenen Mann in mittlerem Alter. Außer seinem ledernen Lendenschurz trug er ein Leopardenfell um seine Schultern. Der Federschmuck auf seinem Kopf ließ ihn noch größer aussehen, als er ohnehin schon war. Die Männer, die ihn begleiteten, trugen seine Zauberausrüstung, die aus Kräutern, Kalebassen, Knochen und dem heiligen Messer bestand. Sobald er das Dorf betreten hatte, wurde er von den Bewohnern umringt und ehrfurchtsvoll begrüßt. Hidipo lud ihn auf den Dorfplatz ein und bot ihm Essen und Sorghumbier an. Der Zauberer setzte sich majestätisch auf einen thronähnlichen Hocker, der gleich hoch war wie der des Häuptlings. Bevor er etwas zu sich nahm, beschwor er die Geister der Ahnen, die Glück und Frieden auf das Dorf bringen sollten. Erst dann unterhielt er sich mit Hidipo.
Johannes hatte der Ankunft des Zauberers keine besondere Bedeutung beigemessen, aber Sarah war ganz aufgeregt gewesen und hatte darauf bestanden, dass sie alle in ihre Hütte gingen, bevor der Zauberer sie zu Gesicht bekam.
»Er wird uns verfluchen«, fürchtete sie. »Raffael hat rötliche Haare, das allein kann schon ein Grund sein, dass er ihn für einen Dämon hält.«
Johannes nahm seine Frau beschwichtigend ihn den Arm. »Das ist doch alles Aberglaube. Keiner wird uns etwas anhaben. Dafür sind wir für Nehale viel zu wichtig.«
»Dieser Mann ist mächtiger als du denkst. Vielleicht will er ja Nehale gegenüber seine Macht demonstrieren. Er kann unsere ganze Familie durch einen Fluch töten. Ich habe so etwas selbst erlebt!«
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