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Sehnsucht

Sehnsucht

Titel: Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang R. Hantel-Quitmann
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Diese Wünsche können direkten Eingang in den Traum finden und dort als Wunsch erscheinen und geradezu traumhaft befriedigt werden. Viele Bedürfnisse und Wünsche des Menschen sind aber für das bewusste Ich eher bedrohlich und werden daher im Traum so entstellt, dass sie den Träumer nicht allzu sehr ängstigen. Die Traumentstellung ist also eine Folge der Traumzensur. Wir merken die Wirkung dieser Traumzensur daran, dass die erinnerten Teile der Träume im Wachzustand wirr und verrückt erscheinen. Je stärker diese Entstellungen und Verzerrungen auftauchen, desto bedrohlicher sind wahrscheinlich die dahinterstehenden Inhalte. Wir merken die Kraft der Traumzensur auch noch im Wachzustand daran, dass wir uns partout nicht mehr erinnern können, d.h. unser Unbewusstes entzieht dem Bewusstsein alles Bedrohliche, Ängstigende und Schmerzliche, um es zu schützen.
    Träume haben eine bereinigende, psychohygienische Funktion für die menschliche Seele, indem in der Phantasie des Träumenden auf symbolische Weise dessen geheime, unbewusste Wünsche erfüllt werden. Diese Wünsche beziehen sich aus heutiger psychoanalytischer Sicht nicht nur auf das, was am Tag nicht befriedigt werden konnte oder was aus unbewussten Themen entstanden ist, sondern auf alles, was sich Menschen wünschen können: Sicherheit, Geborgenheit, Liebe, Bedürfnisbefriedigung, Anerkennung oder auch die Stabilisierung des eigenen Selbst. Diese Wünsche kann man auch als Beziehungswünsche ansehen, denn die Inhalte des Unbewussten bestehen aus psychologischer Sicht heute nicht mehr aus dunklen, dämonischen Trieben, sondern aus Beziehungserfahrungen.
    Heute wissen wir auch, dass Träume neben der Wunscherfüllung auch der Informationsverarbeitung und der Stressbewältigung im Alltag dienen. Ursprünglich ging Freud davon aus, dass Träume im wesentlichen unbewusste, frühkindliche Themen behandelten, später hat er diese Position revidiert und der Verarbeitung des Tagesgeschehens in den Träumen eine größere Bedeutung beigemessen. So machte er 1923 in seinen Bemerkungen zur Theorie und Praxis der Traumdeutung eine Unterscheidung zwischen Träumen von oben und von unten . Er schreibt:
    Träume von unten sind solche, die durch die Stärke eines unbewussten (verdrängten) Wunsches angeregt werden, der sich eine Vertretung in irgendwelchen Tagesresten verschafft hat. Sie entsprechen Einbrüchen des Verdrängten in das Wachleben. Träume von oben sind Tagesgedanken oder Tagesabsichten gleichzustellen (… ) 105
    Damit war ein wesentlicher Schritt gemacht, Träume nicht nur in retrospektiver Weise, also im Hinblick auf die Vergangenheit eines Menschen zu verstehen, sondern auch hinsichtlich der Gegenwart des Träumers, seines konkreten Lebensalltags, das in das Traumverständnis einbezogen wird.
    Warum sind unsere nächtlichen Träume so wichtig für unsere seelische Gesundheit? Nachts nehmen wir uns in unseren Träumen anscheinend die Zeit, alle Ereignisse, Themen, Probleme und Konflikte des Tages noch einmal in Ruhe (!) durchzuarbeiten, einen Abgleich der inneren Einstellungen mit den äußeren Erlebnissen vorzunehmen, Bewertungen zu durchdenken und Probleme zumindest probeweise zu lösen, und das alles ohne große Hektik, Stress, äußeren Zeitdruck und zu befürchtende Handlungskonsequenzen. Denn im nächtlichen Ruhezustand ist unser Gehirn anscheinend in der Lage, ohne den Alltagsstress und die permanenten Anforderungen von außen, aber auch unter Zuhilfenahme aller unbewussten Kapazitäten, Höchstleistungen zu vollbringen, zu denen unser bewusstes Informationsverarbeitungssystem anscheinend nicht so gut in der Lage ist. Mangeht mittlerweile auf dem Hintergrund der rasanten kognitionspsychologischen Forschungen davon aus, dass unsere nächtliche, nicht bewusste Arbeit des Gehirns und des Seelenlebens effektiver ist als die am Tage.
    Denn das nicht bewusste Informationsverarbeitungssystem, mit dem sich kognitionspsychologische Forscher heute befassen, ist unvergleichbar fähiger, komplexe Wissensstrukturen schneller und auf intelligentere Weise zu verarbeiten, als unser bewusstes Denken. 106
    Träume haben auch eine Bedeutung für unsere Zukunftsgestaltung. Schon 1912 hatte ein Schweizer Psychoanalytiker, Alphonse Maeder, in seiner Schrift Das Traumproblem die vorausschauende oder auch prospektive Funktion des

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