Sehnsuchtsland
einstürmten.
Das dröhnende Motorrad. Der Junge, mit dem sie zusammen war. Ihr Lachen in der Dunkelheit. Die vorbeifliegenden Bäume. Plötzlich, das riesige Tier, mitten auf der Straße. Schwerelosigkeit, Sturz. Die Härte des Aufpralls. Und dann die Schreie. Schreie, die nicht aufhören wollten...
Lena kam wieder zu sich und merkte, dass sie aus dem Wagen gestiegen war. Sie stand vor dem Wegweiser, beide Arme um ihren Körper geschlungen, unfähig, ihr Zittern zu unterdrücken. Der Elch war verschwunden, so lautlos und rasch, wie er aufgetaucht war.
Lena weinte leise, gefangen von den Schrecken der Vergangenheit.
Der verwitterte Wegweiser ragte vor ihr auf wie ein Mahnmal aus einem früheren Leben. Dahinter erstreckte sich das sanfte, geheimnisvolle Zwielicht des Waldes.
*
Magnus Jacobsson schlenderte über den Kai der Stockholmer Altstadt, der so genannten Gamla Stan, als sein Handy klingelte. Gegenüber lag im Sonnenschein das Nationalmuseum und Skeppsbron . Stockholm zeigte sich mal wieder von seiner schönsten Seite.
Sein Partner Claes Sandberg war am Apparat. Schon seit Tagen wollte er Magnus ein Projekt schmackhaft machen, das er irgendwo auf dem Land aufgetan hatte. Nach allem, was Claes bis jetzt angedeutet hatte, war es die Gelegenheit der letzten Jahre, ein Seegrundstück von seltener Schönheit, das förmlich prädestiniert war für die Errichtung eines Hotels — vielleicht sogar einer Ferienanlage. Und obendrein war das Ganze auch noch spottbillig zu haben, weil die Bank, die ihre Finger auf dem Grundstück hatte, bereits die Zwangsversteigerung betrieb.
Claes schilderte mit dem für ihn üblichen Eifer, was er in der Zwischenzeit darüber in Erfahrung bringen konnte.
Magnus seufzte unhörbar. Claes war ein Mensch, der seine Ideen am liebsten noch am Tag der Entstehung in die Tat umgesetzt hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Sein Enthusiasmus war oft mitreißend, aber hin und wieder auch lästig.
»Ich bin zwar in fünf Minuten im Büro«, sagte Magnus mit gutmütigem Spott, »aber sprich einfach weiter.«
Claes ließ sich nicht zweimal bitten. »Es hat einen hübschen Namen, habe ich das schon erzählt? Marielund.«
Magnus stutzte, als er den Namen hörte. Sein Blick schweifte unwillkürlich in die Ferne, und er sagte sich, dass es sich vermutlich nur um eine zufällige Namensgleichheit handelte. Doch als Magnus kurz darauf ins Büro kam und die vergrößerten Farbfotos sah, die Claes an die Pinnwand geheftet hatte, wusste er, dass er hier dasselbe Marielund vor sich hatte, das eben in seiner Erinnerung aufgetaucht war.
Er blieb vor den Aufnahmen stehen und betrachtete sie eingehend.
Claes lockerte seine Krawatte und raschelte geschäftig mit den Grundstücksplänen, die er auf seinem Arbeitstisch ausgebreitet hatte.
»Sieht aus, als wäre das eine tolle Sache. Das Haus selbst soll ein vergammelter Kasten sein. Steht seit Jahren leer. Aber dieser Ort! Die Lage! Mensch, Magnus, so eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder!«
Magnus hörte kaum hin. Versunken starrte er auf die Fotos. Es war wirklich Marielund. Alles war genauso wie in seiner Erinnerung.
Claes war in seinem Element. Er sprudelte förmlich über vor Ideen. »Wenn man die alte Bude abreißt... Ich würde sagen, fünfundvierzig Wohneinheiten werden das locker. Mit allen Schikanen. Seeblick, Sauna, Wellnessbereich ... Hm, vielleicht ein kleiner Hafen...« Er strahlte Magnus an. »Das kann ein Knaller werden! Wir müssen nur schnell sein. Es gibt nämlich schon ein paar andere Interessenten, sagt mein Freund von der Bank.« Aufmunternd fügte er hinzu: »Fahr hin, sieh dir die Sache an, mach ein paar Pläne. Und Ende nächster Woche wissen wir, ob sich die Sache rechnet.«
Magnus nickte geistesabwesend, ohne den Blick von den Fotos zu wenden. »Soll es wirklich versteigert werden?«, murmelte er.
Claes zuckte ungeduldig die Achseln. »Ende nächsten Monats, soweit ich weiß. Die Bank will das Ding so schnell wie möglich loswerden.« Spielerisch schlug er Magnus auf die Schulter. »Junge, das ist mal wieder genau das richtige Projekt für uns! Das wird uns sanieren, hörst du?« Er hielt inne und lächelte erwartungsvoll. »Also, wann fährst du?«
Magnus zuckte zusammen, dann erwiderte er den Blick seines Partners.
»Sofort«, sagte er, ohne zu zögern. Während er sich vage wunderte, woher diese plötzliche Entschlossenheit kam, packte er die Pläne zusammen und nahm seine Jacke. »Ich muss nur vorher
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