Sehnsüchtig (German Edition)
versteckt ihr Gesicht hinter ihren Händen, die in roten Handschuhen stecken. Dann linst sie dazwischen hervor und strahlt wieder. Sie hat Eliots Charme geerbt. „Sie ist gross geworden“, sagt Alys. Irina nickt. Ihr Blick ist warm als sie Lilli betrachtet, wird wieder kühl als sie zu Alys aufschaut. „Ja, sie wächst mir um die Ohren.“ Ihr Blick flackert zu Alan, dann auf Alys’ Hand in seiner. „Tschüss“, sagt sie dann und schiebt den Kinderwagen weiter. „Bye“, bringt Alys hervor und zieht Alan mit sich. Die nächsten fünf Minuten sagt keiner von beiden etwas. Sie versucht, sich zu fassen und hofft, dass ihre Hand in seiner nicht zittert und sie verrät. Vielleicht würde er dem Wetter die Schuld geben. „Du siehst aus, als hättest du einen Geist aus der Vergangenheit gesehen“, sagt er irgendwann.
„So war es irgendwie auch.“ Er lächelt sie an und sieht besorgt aus. „Das war ein hübscher Geist.“
„Ja“, sagt sie nur und studiert den Fluss. Er fliesst ruhig dahin, unbeeindruckt von der Situation und dem Aufruhr in ihr. „Wer war das?“
„Eine ehemalige Kundin. Wir hatten ein paar Probleme wegen dem Auftrag.“
„Du hast unzufriedene Kunden? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Sie lächelt vage zurück. „Das kommt vor.“ Er fragt nicht weiter nach der rotblonden Frau mit den Kinderwagen.
*
„Ich habe heute Nachmittag Alys gesehen.“
Eliots Gabel verharrt in der Bewegung. Der Ausdruck in Irinas Augen ist neutral. Als würde sie über das Wetter reden – oder den Börsenkurs. „Wo?“, fragt er verwirrt. Verwirrt, so fühlt er sich, oder durcheinander. Der Name ist seit Monaten nicht mehr gefallen. Keiner von beiden erwähnt ihn je .
„Am Fluss als ich spazieren war.“ Sie wickelt ein paar Spaghetti auf ihre Gabel. Er schiebt sich seine jetzt doch in den Mund. Kauen ist irgendwie anstrengend. Schlucken auch. Sie hat Alys gesehen. Irina scheint auf eine Reaktion zu warten. Er schluckt endlich hinunter. „Warum erzählst du mir das?“
Sie zuckt mit der Achsel. „Ich weiss nicht. Aus einem Impuls heraus.“ Er nimmt einen Schluck Wein. „Du fragst gar nichts“, sagt sie. Er hebt eine Augenbraue. „Was soll ich fragen? Würdest du das wollen?“ Er klingt jetzt ein bisschen ungeduldig. Sie verzieht den Mund. „Ich weiss es nicht“, sagt sie erneut. „Wahrscheinlich nicht“, schiebt sie nach. Eben. Eine Weile sagt sie nichts mehr und er glaubt schon, dass das Thema beendet ist. „Sie hat einen Freund“, kommt ihre Stimme dann. Wieder forscht sie in seinem Gesicht nach einer Reaktion. Aber er behält es unter Kontrolle. „Das ist schön“, sagt er und seine Stimme klingt ruhig dabei. Er fragt sich, ob Alys das mit Janosch wiederbelebt hat. Oder ob es ein anderer ist. Warum denkst du darüber nach?
„Er ist sympathisch. Lilli fand ihn klasse.“
Er versucht zu grinsen. „Meine Tochter und ihre Charmeoffensiven.“ Er erwartet, dass sie weiter über Alys’ Freund redet, um seine Reaktion zu testen oder ihn zu quälen, obwohl quälen nicht zu Irinas Eigenschaften gehört. Sie lässt es bleiben. Das Thema ist beendet, aber nicht in seinem Kopf.
Irina weiss nicht, dass er ihr Facebook-Passwort herausgefunden hat. Besonders schwierig war das nicht. LilliEliot. Jeder Datenschützer wäre entsetzt ab so viel Leichtsinn. Sie weiss nicht, dass er sich manchmal auf ihrem Profil einloggt, um auf Alys’ Profil zu gehen. Aus irgendeinem Grund hat Irina Alys nicht als Freundin gelöscht, obwohl es nur verständlich gewesen wäre. Er checkt Alys’ Profil regelmässig unter Irinas Konto. Er selbst hat kein privates Profil mehr seit der Sache mit „Sehnsüchtig“. Er ist auf dem Laufenden über Alys. Zumindest was Facebook betrifft. Er weiss, dass sie eine lange Europareise gemacht hat, von Mai bis August. Dass sie sich einen alten Saab 900 dafür gekauft hat, violett, der seinem Auto ziemlich ähnelt. Es war wohl ihre Art, damit umzugehen und es zu verarbeiten. Er hat sich die Bilder der Reise, die sie gepostet hat, oft angeschaut. Je länger die Reise dauerte, desto mehr wich der Schmerz aus ihrem Gesicht. Manchmal hat er mit dem Zeigefinger ihren Wangenknochen nachzogen, aber da war nur der Bildschirm unter seiner Fingerkuppe. Sie trägt ihr Haar noch gleich, die Kleopatra-Frisur ist geblieben. Der rote Lippenstift auch. Sie fehlt ihm manchmal, aber er verdrängt es so gut es geht. Er hat ein paar Mal versucht, sie anzurufen, aber sie hat nie
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