Sehnsüchtig (German Edition)
jetzt in einem zarten Blau gestrichen. Alans Blick hängt an den drei Bildern, die silbern gerahmt in einer Reihe über dem Kopfende hängen. Sie betrachtet sie ebenfalls und jemand scheint an ihrem Innern zu zerren. Sie hat ihre drei Lieblingssujets aus dem Fotoshooting für das ‚Rock’n’Roll-Star’ vergrössern und rahmen lassen. Es ist die einzige Erinnerung an Eliot, die in ihrer Wohnung zu finden ist, abgesehen von den CDs. Sie will ihn ja nicht komplett vergessen. Oder verdrängen. Du musst ihn überwinden, hat sie sich vorgenommen. Nicht vergessen. Er wird immer eine wichtige Episode in ihrem Leben bleiben. Vielleicht die wichtigste. Oder die prägendste.
Alans Gesicht leuchtet auf als er sie im Türrahmen stehen sieht. „Du hast mir nie gesagt, dass du modelst“. Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. „Das war eine einmalige Sache.“
„Du siehst unglaublich aus!“ Er lässt offen, ob er die Bilder oder Alys jetzt gerade meint, ungeschminkt und frisch geduscht. „Ich finde, die Bilder sehen nicht nach mir aus.“ Er betrachtet das äusserste Bild in der Reihe, Eliot und sie, erstarrt in der Tango-Pose. „Wer ist er? Ein Model?“ Sie lächelt vage. Eliots Worte kommen ihr in den Sinn. „ Dazu sind sie auf die grossartige Idee gekommen, eine Mode-Fotostrecke zu machen. Als wäre ich Model und nicht Musiker.“ Er hatte etwas gequält ausgesehen bei dem Satz. Und jetzt hält man dich doch dafür. Wie du das wohl finden würdest?
„Das ist Eliot Wagner.“ Sie lässt ihre Stimme beiläufig klingen. „Der Musiker, für den du das CD-Booklet gemacht hast?“ Alan hatte Eliots CDs mal gefunden. Weil er die Musik mochte, hatte Alys sie ihm ausgeliehen. Er hatte auf den ersten Blick gesehen, dass das Artwork von ihr sein muss. Er kennt ihren Stil mittlerweile.
„Genau, das war ein Shooting für ein Magazin namens ‚Rock’n’Roll-Star’. Eliots Verlobte ist Stylistin und irgendwie waren sie auf die Idee gekommen, mich zu fragen.“ Sie geht zu ihrem Schrank und sucht ein paar neue Jeans hervor. „Attraktiver Mann“, hört sie Alans Stimme in ihrem Rücken. „Eliot?“, macht sie. „Ja“, sagt sie dann.
„Wir könnten mal an ein Konzert von ihm gehen“, schlägt er vor. Sie schluckt. „Er macht gerade eine unbestimmt lange Livepause. Seine letzte Tour musste aus gesundheitlichen Gründen abgesagt werden.“ Alan hebt eine Augenbraue und studiert Eliots Gesicht. „Er ist doch noch so jung.“
„33, ja ...“ 34, korrigiert sie sich in Gedanken. Er ist im Oktober 34 geworden. 27. Oktober 1978. Skorpion. Sein Sternzeichen passt zu ihm. „Es war ein Burnout.“ Sie schlüpft in ihre Jeans und schluckt den Kloss in ihrem Hals herunter. „Krass“, sagt Alan hinter ihr. „Wie geht es ihm heute?“ Langsam dreht sie sich zu ihm um. „Ich weiss nicht. Ich habe ihn seit April nicht mehr gesehen. Und es ist still um ihn geworden.“
*
Der 1. Januar beschliesst, sich optimistisch zu geben. Zum ersten Mal seit Wochen erinnert sich die Sonne an ihre Hauptaufgabe und scheint. Eine Herde Schäfchenwolken verziert den Himmel. Sein Blau würde jedem Maler Freude bereiten. Alan und Alys beschliessen, in die Stadt bummeln zu gehen. Irgendwo einen Kaffee zu trinken. Sie schlendern am Fluss entlang. Schnee knirscht unter Alys’ Nietenstiefeln. Alan hält ihre Hand und erzählt mit munterer Stimme Büroepisoden.
In einer Kurve kommt ihnen eine Frau mit Kinderwagen entgegen. Alys betrachtet das Kind, ein herziges Mädchen, dunkles Haar und eine gelbe Kappe mit Bärenohren. Es muss wohl etwa zweijährig sein. Sie kennt sich nicht so aus mit Kindern. „Ente“, sagt das Kind und zeigt lebhaft auf ein Entenpaar. Der Ausdruck in den Augen kommt ihr bekannt vor, sie funkeln vor Begeisterung, sie sind gross und dunkelbraun . Überhaupt, diese Augen.
Ihr Instinkt begreift vor ihrem Verstand. Dann fühlt sie den Blick der Mutter auf ihrem Gesicht und blickt auf. Alles in ihr zieht sich zusammen. Irinas Blick schweift über sie hinweg, blau und kühl, trifft sie bis ins Mark. „Hallo“, sagt Irina knapp. Alys hatte sie erst nicht erkannt wegen der hochgeschlagenen Kapuze, aber jetzt ist das weiche Gesicht unverkennbar. Ihr Haar ist wieder länger, etwas mehr als kinnlang. „Hallo Irina“, bringt sie hervor und hofft, dass ihre Stimme nicht zittert.
„Frau“, sagt Lilli und zeigt auf Alys. „Mann“, fügt sie hinzu und strahlt Alan an. Er lächelt zurück und sie tut schüchtern,
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