Sehnsüchtig (German Edition)

wenig grinsen, obwohl sie Angst hat. „Nein, das hat es nicht.“ Er zieht ihren Wangenknochen mit dem Daumen nach. Die Geste ist vertraut, aber der Blick auf ihrem Gesicht ist anders. Er brennt nicht auf der Haut. Nicht so wie bei ihm. Sie verbietet sich, den Namen zu denken. „Ich finde, es hat sich gut angefühlt“, sagt er. Sie studiert sein Gesicht. „Ja“, sagt sie dann. Sie greift nach seiner Hand. „Ich will das mit uns probieren. Aber ich kann dir nichts versprechen.“
    „Du musst mir nichts versprechen, aber ich musste das einfach mal loswerden.“ Er seufzt, als würde eine Last abfallen von ihm. Er sieht gerade sehr jung aus, jünger als seine 30 Jahre. Alys zögert, dann fragt sie doch: „Willst du reinkommen? Wir können eine Flasche Wein aufmachen.“ Sie hat ihn bisher nie mit in ihre Wohnung genommen. Sie wollte keine Erwartungen bei ihm wecken, ihn nicht auf falsche Gedanken bringen. Sein Gesicht leuchtet auf. Sie drückt seine Hand. „Wir können Wein trinken und das machen, was wir vorher gemacht haben. Aber alles andere ist heute Nacht nicht drin. Bald, aber nicht heute. OK?“ Er lächelt, er sieht nicht enttäuscht aus. „Deal“, sagt er.
     
    *
     
    Zwei Wochen später, in der Silvesternacht, trinkt sie sich Mut an, um den entscheidenden Schritt zu tun. Sie haben Mascha und Frederic eingeladen, und Alan steht lange in ihrer Küche und macht Stew für alle. In seinem möblierten Zimmer mit den beiden Kochplatten wäre es eng geworden für vier Leute. Er nennt es gerne auch ‚die Schuhschachtel’. Zuerst wollten sie ausgehen, aber Alys zauderte, die meisten Partys reizten sie nicht und das Silvesterkonzert in der ‚Wunderbar’ kam sowieso nicht in Frage. Dort spielen Noah Hirsbrunner und ‚Manor on a Hill’, vielleicht sogar mit Marlen am Bass. Sie denkt auch nicht, dass Frederic Noah hätte spielen sehen wollen, geschweige denn, mit Mascha auch nur in die Nähe von Noah ‚Schleimbeutel’ - oder wahlweise ‚Arschloch’ - Hirsbrunner gehen.
    Die beiden Männer trinken reichlich Guinness, wobei Alan deutliche Vorteile hat – die irische Trinkfestigkeit ist bei ihm nicht Klischee sondern Tatsache. Alys hält sich an Bulmer’s, den irischen Apfelwein. Mascha bringt man nicht ihrem geliebten gespritzten Weisswein süss ab. Alys hält sich an ihrem Glas fest und an Alans Hand, versucht, das Flattern in ihrem Bauch zu ignorieren. Warum bist du so aufgeregt? Man könnte meinen, du hättest eine schwere Prüfung vor dir. Oder dein erstes Mal. Sie kommt sich vor wie eine errötende Jungfrau. Wie dämlich ist das denn, aber in gewisser Weise ist es ein erstes Mal. Es ist ihr erstes Mal nach Eliot. Der Alkohol hat sie in einen Kokon gehüllt, dämpft warm den Schmerz etwas, den sie immer noch verspürt, wenn sie an ihn denkt. Phantomschmerz.
    Irgendwann wirft Mascha einen Blick auf Alans Arm, der um Alys’ Hüfte liegt. Er hält sie die meiste Zeit des Abends fest und das tut gut. Alan ist ihr wichtig geworden in den letzten Wochen. Sie mag seinen Optimismus. Alan ist ein Mensch, der keine Probleme sieht. Und falls doch, dann geht er sie entschlossen an, mit einem Lächeln im Gesicht. Er hat die gleiche sonnige Aura wie Mascha, vielleicht fühlt sie sich deshalb so wohl mit ihm. Sie mag seine Ecken und Kanten, dass er süchtig nach Kreuzworträtseln ist und stundenlang durch die Stadt irrt, um englische Kreuzworträtselhefte zu finden. Und dass er keinen Kaffee trinkt. Wie kann man keinen Kaffee trinken? Er ist ein eigenständiger Mann, der gut alleine sein kann und sie nicht alle fünf Minuten sehen will. Er führt sein eigenes Leben. Und er lässt sie sein, wie sie ist. Er lässt zu, dass sie ihn auslacht, weil er bei jedem Wetter joggen geht. Es ist ihm egal, dass sie raucht und keinen Sport macht und nicht ansprechbar ist, wenn sie an einer Illustration sitzt. Und er setzt sie nicht unter Druck, zu definieren, was sie sind. Er drängt sie nicht, mit ihm ins Bett zu gehen weil er weiss, dass sie Zeit braucht. Er fragt nicht nach dem Mann, der ihr Herz gebrochen hat. Und er hat diese Art, sie anzusehen, die ihren Atem stocken lässt. Als wäre sie das Schönste auf der Welt. Er ist der erste Mann, der sie auf Händen trägt, und das hat sie sich immer gewünscht. Auf Alan kann man sich verlassen. Was er sagt, hat Hand und Fuss. Wenn er sagt, er rufe an, dann tut er es auch. Alan ist ein guter Mann.
    „So, Marienkäfer, heute ist zwar die Nacht der Nächte aber ich bin müde und