Sehnsüchtig (German Edition)
auszusehen, „was machst du denn hier?“
„Eine Freundin hatte ein Ticket zu vergeben und ich habe geerbt. Ich wäre eigentlich lieber zuhause geblieben, muss noch das ‚Mock-Up’ dieser Webseite fertig kriegen.“
Sie lächelt. „Wem sagt du das, Mascha hat mich hergeschleppt.“
Sie studiert sein Gesicht. Er sieht erschöpft aus und ein kleiner Stich durchzuckt sie. Besorgnis? Das muss nicht sein.
Du arbeitest zu viel, liegt ihr auf der Zunge. Aber eben, wem sagt sie das.
Der Blick aus Janoschs Augen – eine seltsame Mischung aus Braun und Grün – liegt ruhig auf ihrem Gesicht. Wie immer sieht es aus als erkenne er durch die Hornbrille etwas mehr von der Welt als andere Leute. Als hätte er den Schlüssel zu irgendwelchen grossen Geheimnissen. Als könne er direkt in sie hineinsehen. Schau mich nicht so an.
„Hey überhaupt“, sagt er jetzt und beugt sich vor. Er zögert einen Augenblick und der Kuss landet auf ihrem Mundwinkel. Als hätte er sich nicht zwischen Mund und Wange entscheiden können. Wahrscheinlich ist es sogar so. ‚Le Mâle’ von Gaultier findet ihre Nase und das Gefühl in ihrem Magen verstärkt sich. Du weisst auch nicht, was wir sind, nicht wahr? Manchmal wüsste ich es gerne. Noch jemand mit tollem Haar. Sie widersteht dem Impuls, die Hand zu heben und sie durch seine dunklen Locken gleiten zu lassen, wie sie es manchmal in schwachen Momenten macht, wenn er neben ihr schläft und sie ihn wie ein Wunder betrachtet. Ein Wunder, das sie nicht wirklich glücklich macht.
Mascha taucht hinter Janosch auf und unterbricht den Moment. Alys sieht nur die blonden Locken über Janoschs Schulter. Zu sehr verschwindet ihre Freundin hinter Janosch, der zwar eher schmal, aber dafür über 1.80 gross ist.
„Du bist auch hier.“ Es klingt nach einer Feststellung. Janosch dreht sich zu ihr um. „Hallo.“ Mascha stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihm den obligatorischen Begrüssungskuss auf die Wange zu hauchen. „Wie geht’s?“, will sie wissen und garniert den höflich-kühlen Tonfall ihrer Stimme mit ihrem Lächeln. Sie sieht irgendwie immer strahlend aus, selbst wenn sie es gar nicht so meint. „Ganz gut“, sagt er. „Und dir?“, fügt er hinzu. „Dito“. Sie stellt sich neben Alys und nimmt ihr den Cosmopolitan aus den Händen. Sie wirft Alys einen vielsagenden Blick zu. Stille macht sich zwischen den dreien breit. Alys nimmt einen Schluck vom Gin Tonic. Der Drink kribbelt angenehm und bittersüss auf der Zunge. Sie wirft Mascha über den Rand des Glases einen warnenden Blick zu, was Mascha mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem Ich-war-doch-nett- Ausdruck auf dem Gesicht quittiert. Alys weiss, dass Mascha Janosch nicht sonderlich mag. „Warum lässt er dich im Unklaren über euch beide?“, bekommt sie immer wieder zu hören. Wahlweise ist es auch „Er spielt nur mit dir“. Ausserdem kann er bitterböse-sarkastisch sein, was sie auch nicht besonders mag.
Mascha wirft einen Blick auf ihre silberne Calvin-Klein-Uhr, chic, wie alles, was sie trägt. „Es geht bald los und ich will möglichst weit nach vorne.“ Sie stupst Janosch mit dem Ellbogen an. „Mach dich mal nützlich“. Er zieht eine Augenbraue nach oben und schaut auf sie herab. „Du bist so gross, also bann uns mal den Weg ...“ Er nickt und setzt sich in Bewegung. Mascha folgt ihm. „Wenigstens dafür kann man ihn brauchen“, wispert sie Alys ins Ohr. „Sei nett“, gibt Alys zurück. Mascha lächelt süss. „Immer doch“, behauptet sie.
Dank Janosch schaffen sie es tatsächlich bis unmittelbar vor die kleine Bühne, die vollgestellt ist mit Instrumenten. Sieht aus als könnte es für die Band eng werden. Keine Absperrungen. Das ist bei Eliot Wagner wohl noch nicht nötig. Das könnte sich aber in der nächsten Zeit ändern, sollte sein Höhenflug so weitergehen wie in den letzten Wochen und Monaten. Alys kramt in Gedanken alles zusammen, was sie über Eliot Wagner gehört und gelesen hat. Er macht schon lange Musik, galt aber bis jetzt als ‚Geheimtipp’ und war ausserhalb einer kleinen musikalisch affinen Gruppe nahezu unbekannt. Die Kritiker, die gerne allem und jedem ein Label aufdrücken, schreiben von einer abstrusen Mischung aus Ska, Rock, Punk, Elektro und sogar etwas Blues. Eliot Wagner sei unberechenbar und lasse sich nicht gerne in eine Schublade stecken. Dann kam in diesem Sommer das Angebot, einen neuen Titelsong für die schon reichlich angestaubte Seifenoper ‚Sehnsüchtig’
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