Sei lieb und büße - Thriller
stützt sich auf ihren Baseballschläger. »Gegenfrage: Warum hast du dich plötzlich gegen uns gestellt?«
»Ihr hättet Rik nicht töten dürfen.«
»Wir haben ihn nicht getötet«, antwortet Laureen. »Das habe ich dir schon einmal gesagt.«
Nicht getötet? Lügt sie? Oder ist es die bittere Wahrheit? Ist er an den Folgen des Unfalls gestorben? Habe ich Mitschuld an seinem Tod?
Ich stöhne auf. Und jetzt? Was haben sie mit mir vor? Habe ich mich grundlos gegen die beiden gestellt?
Nein. Es ist richtig. Es ist höchste Zeit.
Was immer das für mich bedeuten mag.
71
Das Zittern ihres Körpers ist so ausgeprägt wie das Muskelzucken eines Alkoholkranken. Sie schaut an sich hinunter. Schon längst spürt sie nicht mehr, wo das Wasser aufhört und wo die kostbare Luft anfängt.
Brusthöhe. Wie schnell das Wasser gestiegen ist. Wie schnell es weitersteigt. Zentimeter um Zentimeter verdrängt es die Hoffnung auf Rettung. Nur Tropfen, es sind nur Tropfen, hat sie gedacht, es wird ewig dauern. Ben wird derweilen Alarm schlagen, es bleibt genug Zeit, um sie zu retten. Wie sie sich geirrt hat. Wann ist aus den einzelnen Tropfen ein Strahl geworden? Ein böser, kalter, stinkender Strahl.
Es ist so kalt. Vielleicht zehn, zwölf Grad. Sie zwingt sich, ihre Beine zu bewegen, zu trippeln, die Hände gegen die Oberarme zu schlagen. Es ist so anstrengend. Von Minute zu Minute wird es schwerer, Arme und Beine zu koordinieren, es ist, als gehorchten sie ihr nicht mehr. Sie ist müde. Schlapp. Als flösse durch ihre Blutbahn ein Gift, das sie verlangsamt. Ihre Gedanken, ihre Bewegungen. Hypothermie. Ein Wort. Bisher.
Wird sie daran sterben? Einem Todestraum folgen? Er soll schön sein, der Todestraum. Man kann sich in ihn fallen lassen wie in eine weiche Wolke, heißt es.
Oder wird sie in dem stinkenden Wasser ertrinken?
Der letzte Geschmack in ihrem Mund – der von Fäulnis?
Ein Schluchzer entringt sich ihrer Kehle.
»Ich will nicht sterben!«, brüllt sie. »Hört mich denn keiner? Verdammt! Warum hört mich keiner?«
Sie lehnt ihren Kopf an die klammen Steine. Steht still. Keine Bewegung mehr. Kein Kampf. Wozu? Sie schließt die Augen. Wartet.
Das Wasser erreicht ihren Hals. Panisch streckt sie ihn und schiebt ihr Kinn in die Höhe.
Mama! Ben! Papa!
»Es tut mir so leid«, schluchzt sie. »Warum kann ich jetzt nicht bei euch sein?«
Wasser schwappt an ihr Kinn. Sie presst die Lippen zusammen. Niemand wird kommen. Niemand wird sie befreien.
»Sina!«
Wer ruft nach ihr? Ein Traum? Eine Wahnvorstellung? Rik? Ruft er sie zu sich?
»Sina!«
Ein Scharren über ihr. Ächzen, Fluchen, dann Licht. Warmes, goldenes Licht, das seine Strahlen wie Flügel über ihr ausbreitet. Ist es so weit? Ist das der Todestraum? Das Licht, das sie zu sich holt? Ein dunkler Fleck erscheint im Licht. Eine Silhouette. Wer ist es? Wer kommt sie holen?
Dann der Ruf einer verzerrten Stimme. »Sina, bist du da?«
Sie erwacht aus ihrer Starre. Kein Traum.
Max!
»Ich bin hier!«, schreit sie mit dem letzten Funken Kraft, den sie aufbringen kann. »Schnell! Ich bin angekettet! Das Wasser ist schon fast am Mund!«
Max beugt sich tiefer in die Öffnung.
»Ich stoppe den Zufluss. Ich bin sofort wieder da.«
»Max!«, bittet sie schrill, »geh nicht weg!«
Sie hört ihn rennen und fluchen, dann ist sie wieder allein.
»Max!« Ihre Stimme ist heiser, kaum mehr als ein Krächzen. »Max!« Ihr Wimmern wird immer leiser. Dann schmeckt sie das Wasser. Alt, abgestanden, faulig. Sie reckt sich, stellt sich auf die Zehenspitzen, spürt neue Energie, als hätte Max sie gedopt. Durchhalten. Er kommt zurück. Bestimmt. Ganz bestimmt.
Dann hört es auf, das Plätschern.
Lediglich ein paar Tropfen fallen noch von oben herab.
Erst schnell, dann immer langsamer. Schließlich ist es ganz vorbei.
Sie steht auf Zehenspitzen, den Kopf nach hinten gebeugt, das Kinn aus dem Wasser gereckt, ihre ganze Konzentration auf das helle Licht gerichtet. Sie hört ihn rufen: »Sina, ich komme!«, dann taucht etwas Dunkles über ihr auf.
»Erschrick nicht, ich lasse jetzt einen Eimer hinunter und schöpfe Wasser heraus. Pass auf, dass er dich nicht trifft.«
Der Eimer nähert sich, landet mit einem Platsch auf dem Wasser, versinkt und taucht gefüllt wieder auf, zuckelt durch den Schacht nach oben und verschwindet über dem Rand.
Einmal, zweimal, fünfmal, zehnmal, begleitet von Max’ Stimme, beruhigend, tröstend.
»Halte durch, gleich kommt Hilfe! Die holen
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