Sei lieb und büße - Thriller
nicht Tabea. Sonst weiß bald jeder in der Schule, dass ich mit Rik zusammen bin, und wir wollten es geheim halten, bis ich mein Abi habe oder wenigstens nicht mehr in der Mannschaft bin. Ich glaube, Tabea ist immer noch in Rik verschossen (kann man ja verstehen ;-)). Dass Rik jetzt ausgerechnet mein Freund ist, wird für sie sicher doppelt bitter sein.
Vorhin habe ich die Abi-Übungshefte durchgesehen. Bei Mathe ist mir echt schlecht geworden. Ich habe keine Ahnung, wie ich das schaffen soll. Vor allem jetzt, wo Dickie wohl kaum mehr mit mir lernen wird. Das ist eigentlich zurzeit das Einzige, was einen kleinen Schatten auf mein Glück wirft.
Nein, halt, da ist noch eine andere Sache. Etwas ganz Komisches. Echt gruselig.
Auf meiner Facebook-Seite war heute ein Posting von einer Cruella, die gefragt hat: Was ist eine Schlampe?
Ich habe gar nicht verstanden, was die will, aber ich hatte ein richtig ungutes Gefühl, als ich das gelesen habe. Du weißt ja, dass ich solche Wörter nicht mag, und wenn jemand auf meiner Seite so was postet, dann ist das, als würde diese Cruella meine Seite beschmutzen.
Ich habe es gleich gelöscht, doch das ungute Gefühl ist irgendwie geblieben und hat mir den ganzen Spaß verdorben, sodass ich mich schnell ausgeloggt habe.
So, jetzt muss ich mich noch ein bisschen aufhübschen, man hat ja nicht jeden Tag Zweimonatsjubiläum :-))))))))))))))))))
DONNERSTAG, 7. JUNI 2012
11
Sina drückt leise die Klinke hinunter. Noch während sie die Tür aufschiebt, hofft sie, dass Frederik aufrecht in seinem Bett sitzt und sie mit seinem unwiderstehlichen Lächeln begrüßt.
Im Zimmer schwindet die Hoffnung wie die Kochsalzlösung, die Tröpfchen für Tröpfchen durch einen durchsichtigen Schlauch in seinen Arm träufelt. Er liegt genauso da wie am Vortag, still und reglos. Sina rückt den Besucherstuhl näher zum Bett und setzt sich.
»Hallo, Rik«, sagt sie zaghaft und berührt seine Hand. »Du wunderst dich sicher, dass ich so früh da bin, aber keine Angst, heute hab ich nicht geschwänzt, einmal null Punkte reichen mir, vielen Dank. Nee, heute ist Feiertag. Fronleichnam. Kannte ich in Berlin gar nicht, klingt ganz schön scheußlich, aber Hauptsache frei …«
Sina lauscht, wie ihre Stimme gegen die Stille anredet. »Nachher geh ich zu Tabea. Zum ersten Mal. Meine Mutter denkt, dass ich jetzt schon dort bin, die weiß nichts von deinem Unfall. Übrigens weiß sie auch nichts von uns.«
Sie hält inne. Uns. Gibt es denn ein Uns?
»Das ist überhaupt so ein Thema. Ich komme mir total bescheuert vor, wenn ich sage, dass ich deine Freundin bin.« Sie betrachtet sein Gesicht. Wie blass seine Haut unter den Bartstoppeln wirkt. Wie eingefallen seine Wangen sind. »Wir haben uns zwei Mal geküsst. Ich war noch nie bei dir und du noch nie bei mir. Schade, dass es keine Definition gibt, so was wie ein Mal geküsst ist gleich Flirt, drei Mal geküsst ist gleich Beziehung …«
Angespannt zupft sie an den Fransen der kleinen Löcher ihrer Designerjeans. »Und ich Idiot hab Laureen, Bessy und Tabea nicht gesagt, dass sie die Klappe halten sollen. Wahrscheinlich weiß es inzwischen ganz Kranbach.« Sina lehnt sich zurück. Müdigkeit legt sich über sie wie eine wohlige Decke. Ein lautes Gähnen entfährt ihr. »Entschuldige. Ich habe kaum geschlafen. Dein Unfall geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was passiert ist. Warst du zu schnell? Du? Oder hat dich jemand vom Rad gestoßen? Aber wie?«
Sie schweigt. Denkt an den Zeitungsartikel über den Unfall, an Frederiks Bitte um ihren Rat, an seine letzte SMS. Sie schließt die Augen, fortgetragen von dem monotonen Piepgeräusch, das wie ein Metronom den Takt ihrer Gedanken schlägt.
»Hoppla! Habe ich Sie jetzt geweckt?«
Die muntere Stimme der Schwester klatscht wie ein kalter Waschlappen in ihr Gesicht. Sina ist mit einem Schlag hellwach. Verlegen setzt sie sich auf und räuspert sich.
»Nein, gar nicht …«, murmelt sie kaum hörbar und zwinkert mehrmals, um den letzten Schlaf zu vertreiben. Sie sucht das Zimmer nach einer Wanduhr ab und bleibt an einem Teddybären mit der Aufschrift »Gute Besserung« hängen. Verwirrt starrt sie auf den Bären. Vorhin war dort kein Stofftier.
»Wissen Sie, wer den Bären gebracht hat?« Das Orange des Bärenshirts leuchtet grell wie eine Signallampe.
Die Schwester prüft den Tropf und stellt die Durchlaufgeschwindigkeit neu ein. »Tut mir leid. Meine Schicht hat
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