Seidenfächer
Kinder sterben. Du wirst sie verhungern lassen, bevor sie überhaupt krank werden können.«
Ich starrte das Huhn an. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, und mein Magen knurrte, aber zum ersten Mal in meinem Eheleben hörte ich nicht. Ich gab auch keine Antwort. Ich schüttete nur das Congee in die Schüsseln und stellte sie auf ein Tablett. Auf dem Weg in mein Zimmer blieb ich vor Onkel Lus Zimmer stehen, klopfte an und stellte ihm eine Schüssel
hin. Das musste ich doch, oder etwa nicht? Er war nicht nur das älteste und respektierteste Familienmitglied, sondern auch der Lehrer meines Sohnes. In den klassischen Büchern steht, dass die Beziehung zwischen einem Lehrer und einem Schüler gleich nach der zwischen Eltern und Kind kommt.
Die anderen Schüsseln brachte ich meinen Kindern. Als Jade protestierte, dass es keine Lauchzwiebeln, keine Schweinefleischscheibchen, nicht einmal eingelegtes Gemüse gab, schlug ich sie fest ins Gesicht. Die anderen Kinder schluckten ihre Klagen hinunter, während ihre Schwester sich auf die Unterlippe biss und gegen ihre Tränen ankämpfte. Ich achtete nicht darauf. Ich nahm einfach nur meinen Besen und fegte weiter.
Die Tage vergingen, und in unserem Zimmer zeigten sich immer noch bei niemandem Symptome, doch die Hitze machte uns schwer zu schaffen und verschlimmerte noch die Dünste von Krankheit und Tod. Als ich eines Abends in die Küche ging, fand ich Dritte Schwägerin wie ein Gespenst mitten in dem abgedunkelten Zimmer stehen, von Kopf bis Fuß in Trauerweiß gekleidet. Ich schloss daraus, dass alle ihre Kinder und ihr Mann tot waren. Der leere, seelenlose Ausdruck ihrer Augen ließ mich erstarren. Sie bewegte sich nicht und ließ auch nicht erkennen, dass sie mich sah, obwohl ich nur einen Meter vor ihr stand. Ich wagte weder, mich zurückzuziehen, noch wagte ich es weiterzugehen. Draußen hörte ich die Rufe der Nachtvögel und das tiefe Klagen eines Wasserbüffels. In meinem Schrecken kam mir ein dummer Gedanke. Warum starben die Tiere nicht? Oder starben sie auch, und es war niemand mehr übrig, der mir davon berichten konnte?
»Dieses nutzlose Schwein lebt!« Hinter mir erklang eine scharfe, verbitterte Stimme.
Dritte Schwägerin verzog keine Miene, aber ich wandte mich um. Es war meine Schwiegermutter. Ihre Haarnadeln fehlten, so dass ihr die Haare in fettigen Strähnen um das Gesicht hingen.
»Wir hätten dich nie in dieses Haus lassen dürfen. Du zerstörst den Clan der Lu, du unreines, dreckiges Schwein.«
Meine Schwiegermutter spuckte Dritte Schwägerin an, die nicht einmal den Willen aufbringen konnte, sich das Gesicht abzuwischen.
»Ich verfluche dich«, schimpfte meine Schwiegermutter, das Gesicht rot vor Wut und Trauer. »Sterben sollst du. Und wenn du nicht stirbst – doch ich bitte dich, Göttin, lass sie leiden -, dann wird Meister Lu dich im Herbst neu verheiraten. Aber wenn es nach mir ginge, würdest du den Tagesanbruch nicht erleben.«
Damit drehte sich meine Schwiegermutter, die von meiner Anwesenheit keine Notiz genommen hatte, um, stützte sich an der Wand ab und taumelte aus dem Zimmer. Ich wandte mich wieder meiner Schwägerin zu, die immer noch völlig abwesend wirkte. Alles sagte mir, dass das, was ich vorhatte, falsch war, ganz falsch, aber ich legte die Arme um sie und führte sie zu einem Stuhl. Ich setzte Wasser auf, nahm allen Mut zusammen und tauchte ein Tuch in einen Eimer mit kaltem Wasser, um meiner Schwägerin das Gesicht abzuwischen. Danach warf ich das Tuch ins Feuer und sah zu, wie es verbrannte. Als das Wasser kochte, machte ich eine Kanne Tee, goss meiner Schwägerin einen Becher ein und stellte ihn vor sie hin. Sie nahm ihn nicht. Ich wusste nicht, was ich sonst noch tun konnte, also begann ich das Congee zu kochen und rührte geduldig um, damit der Reis nicht klebrig wurde oder anbrannte.
»Ich möchte so gerne die Stimmen meiner Kinder hören. Ich suche überall nach meinem Mann«, murmelte Dritte Schwägerin. Ich wandte mich zu ihr um, denn ich dachte, sie spräche mit mir. Doch ihr Blick sagte mir, dass es anders war. »Wenn ich wieder heirate, wie soll ich dann meinem Mann und den Kindern im Jenseits begegnen?«
Ich konnte ihr keinen Trost spenden, denn es gab keinen. Sie
hatte keinen großen Baum, der sie schützte, und keinen festen Berg, der hinter ihr stand. Sie erhob sich und schwankte auf ihren zarten Lilienfüßen aus der Küche, als wäre sie eine Laterne, die während des Laternenfests losgeschickt worden
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