Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel
hätte gerne Shin getroffen, aber um Yusuri keine Möglichkeit zu geben, noch einen Anschlag irgendeiner Art zu planen, hatten sich sowohl Toshi als auch die Zwillinge dagegen ausgesprochen. So musste Isabelle wohl oder übel noch einen Tag warten. Die Vorbereitungen für den Abend lenkten sie aber ausreichend ab. Laut Toshi würde Isabelle ein von Kamo bestimmtes Opfer fesseln, ganz nach eigenen Vorstellungen. Ob die Fesselung gelungen war oder nicht, würden dann einzig und allein die anwesenden Gäste bestimmen. Isabelle war eine Ausländerin, weswegen sie einen schweren Stand haben würde.
Für den Abend hatte sie einen Kimono gewählt. Die anderen hatten ihr versichert, dass Kamos Gäste der Anblick des seidenen Kleidungsstücks milder stimmen würde. Toshi hatte ihr einen neuen Kimono bringen lassen. Isabelle hatte lächeln müssen, als sie die Stickerei darauf sah. Es war ein Drache. Exakt derselbe Drache, den Toshi auch auf seinem Rücken trug. Seine Schuppen waren rot und goldfarben, ebenso wie der Untergrund. Das Muster war ungewöhnlich, aber Isabelle liebte jeden einzelnen Faden daran. Sorgsam zog sie sich den passenden Unter-Kimono in hellem Grün an und streifte dann den schweren Seiden-Kimono über. Die linke Seite über die rechte, erinnerte sie sich schmunzelnd an Kyos Anweisungen. Als sie gerade den Obi binden wollte, kam Toshi in ihr Schlafzimmer und betrachtete das Bild, das sich ihm bot, versonnen. Isabelle wandte sich vom Spiegel ab. „Ist es schon soweit?“
„Nein.“ Er kam zu ihr und rollte den Obi wieder ein. Dann wickelte er ihn sorgsam um Isabelles Taille und verknotete ihn, bevor er den zweiten, kleineren Obi nahm und ihn darüber wickelte. „Auch eine Form von Shibari, mhm?“, zwinkerte sie. Er lächelte und verknotete die Enden des Obis zu einer Schleife auf Isabelles Rücken. Die Zierkordel hielt er Isabelle hin, die sie zweimal um die Gürtel schlang und dann selbst festknotete.
„Nervös?“, fragte er und legte seine Hände auf ihre Schultern. Selbst durch die Lagen der Kimonos spürte Isabelle seine Wärme und war dankbar dafür. „Ein wenig.“ Sie sah zu dem kleinen Haufen aus Seilen hinüber, die auf dem Bett bereitlagen. Isabelle hatte lange darüber nachdenken müssen, welche Form sie knoten wollte. Zu einfach - und die Gäste würden sie gnadenlos durchfallen lassen, zu schwer - und sie lief Gefahr, die Figur nicht vollenden zu können.
Toshi küsste ihren freiliegenden Nacken. Isabelle hatte ihre Haare wieder mit Kyos Haarnadeln hochgesteckt. „Entspann dich“, beruhigte er sie und folgte ihrem Blick. „Du hast Talent und weißt alles, was du für heute Abend wissen musst.“
„Ich hoffe es“, murmelte Isabelle und betrachtete sich und Toshi im Spiegel. Er ragte hinter ihr auf, ein großer, gutaussehender Mann, dessen Haltung eindeutig zeigte, dass Isabelle zu ihm gehörte. Sein schönes Gesicht erwiderte den Blick ihres Spiegel-Ichs mit leichtem Lächeln. Das Funkeln in seinen Augen sah sie auch in ihren eigenen. Isabelles Lächeln vertiefte sich. Sie drehte sich um, um das Original anzusehen. Toshi trug, wie sonst auch, einen dreiteiligen Anzug mit passender Krawatte. Sie kannte seine Aufmachung gar nicht anders und liebte es. Für jeden anderen war er der kalte Yakuza, den immer ein Hauch von Gefahr umgab. Aber für sie legte er diese Hülle ab und zeigte sich als der zärtliche Liebhaber, nach dem Isabelle sich insgeheim immer gesehnt hatte.
‚Er gehört mir‘, flüsterte es in ihr, und die Erkenntnis ließ Isabelles Herz einen Sprung tun. Toshi zog sie an sich und hielt sie eng umschlungen. Seine Lippen strichen über ihre Wangen und küssten ihre Mundwinkel. Isabelle seufzte leise und strich mit ihrer Zungenspitze über seine geschlossenen Lippen.
Bevor aus dem sanften Spiel aber ein langer Kuss werden konnte, kam Hi herein. „Verzeihung, Oyabun, aber die Limousine wartet. Es wird Zeit.“
Toshi brummte, löste sich aber bedauernd von Isabelle. „Gehen wir.“
Der Weg zu Kamos Haus erschien Isabelle diesmal wesentlich kürzer. Sie knotete immer wieder Schlaufen in ein weiches Hanfseil, das sie aus dem Hotel mitgenommen hatte. Toshi legte seine Hand auf ihre und hielt sie davon ab, weiter nervös mit dem Seil zu spielen. Bis zum Ziel sprachen sie nicht, aber Toshis Hand löste sich nicht mehr von Isabelles.
Wie schon am ersten Abend, wurden sie in den großen Raum geführt. Die anwesenden Gäste trugen feine Abendgarderobe, einige sogar Masken.
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