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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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einer sehr alten Marmoreinfassung. Im Eingang waren die Fliesen eingesunken, und die Rezeption befand sich in einem grottenartigen Loch voller Ramsch. Die Besitzerin saß dort, sie hatte eine gebieterische Nase und dunkle Ringe unter den Augen. Signora di Lombardi trug ein Kleid aus Kunstseide, dar-
    über eine Strickjacke, und tauchte Zwieback in eine große Schale Milchkaffee. Sie neigte huldvoll den Kopf, als ich den Fuß auf die schwach beleuchtete Treppe setzte. Volle Mülleimer standen entlang der Wand. Im Treppenstock staute sich der Geruch nach Fäulnis, Dreck und verstopften Kanalisationen.
    Unser Zimmer im dritten Stock war riesengroß und unge-heizt. Die Wände waren vor Feuchtigkeit grau, die Tapete hing an manchen Stellen in Fetzen. Auf den ersten Blick schien es, als habe man in diesen Raum sämtliches Gerumpel des alten Hauses gestopft, für das man anderswo keine Verwertung mehr fand. Pierre und ich schliefen in einem riesigen Letto matrimo-niale, unter dem Kruzifix mit dem Ölzweig. Alwin, in Decken eingerollt, lag auf einem zerschlissenen roten Sofa, das muffig roch. Außerdem befanden sich im Zimmer zwei ausgebeulte Sessel, ein überdimensionaler runder Tisch, dessen Sockel, mit Löwenköpfen versehen, von einem Seil zusammengepreßt wurde; ferner ein wurmstichiger Wandschrank, zwei Stehlam-pen – eine davon ohne Birne –, ein abgeschabter Läufer. Ein extravaganter Frisiertisch mit einem fleckigen Aufsatz aus rotem Veroneser Marmor und zwei Putten aus Bronze zu beiden Seiten des Spiegels war das Prunkstück des Raumes. Das Waschbecken daneben war winzig klein und mit einem altmodischen Kaltwasserhahn versehen, der aus einer gekachelten Wand ragte und tropfte. Der Duschraum befand sich ein Stockwerk tiefer. Die Laken waren eiskalt, die Steppdecke viel zu dünn. Pierre und ich hatten unsere Daunenmäntel über das Bett gebreitet, aber in der Nacht waren wir mehrmals mit kalten Füßen aufgewacht. Das paßte irgendwie dazu; der Mangel an Bequemlichkeit störte uns nicht.
    Der alte Boden knarrte, als ich das Zimmer betrat. Beide Männer schliefen noch. Pierre atmete tief, Alwin schlief friedlich wie ein Kind, das arglose Gesicht zur Decke gekehrt. Ich setzte mich mit meinem Make-up-Köfferchen vor den Schminktisch, betrachtete mich eine Weile im Spiegel. Das Licht war schlecht, aber das machte nichts. Irgend jemand hat mal gesagt, das Spiegelbild einer Frau ist ihre Maske. Gut.
    Diese Maske würde ich jetzt zeigen.
    Ich öffnete Döschen und Tuben, wählte sorgfältig Augenstif-te, Pinsel und Puderquasten. Die Verwandlung geschah ganz allmählich. Ich nahm mir Zeit. Die Farben, die ich auftragen würde, bedeuteten etwas. Die eine Hälfte des Gesichtes schminkte ich rot, die andere schwarz, auch die Lippen. Ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus Erwartung, Euphorie und Traurigkeit ließ mein Blut schneller kreisen. Ich wußte nicht, durch welche Zeichen ich erfahren hatte, daß heute etwas geschehen würde.
    Mit kleinen Spangen befestigte ich Efeublätter in meinem Haar. Vom Campanile läutete zehnmal die Glocke. Ich betrachtete mich im Spiegel mit der Genugtuung, etwas vollbracht zu haben, das nahe an das heranreichte, was ich anstrebte. Voilà, die Maske war vollkommen. Rot und schwarz: die Kraft des Lebens gegen die Kraft des Todes, und beide hielten sich im Gleichgewicht. Hinter mir knarrte das Sofa. Alwin wühlte in seinem verstrubbelten Haar, fröstelte in der Morgenkälte.
    »Wie ist die Dusche?« murmelte er.
    »Lauwarm. Der Boiler funktioniert schlecht.«
    Pierre lag auf dem Rücken, die Arme weit auseinanderge-schlagen; seine Lider zuckten. Ich setzte mich auf die Bettkan-te, fast ohne die Matratze niederzudrücken, legte die Fingerspitze auf die kleine Narbe. Sein Atem roch nach Schlaf. Er blinzelte im Licht, warf sich träge herum. Die Locken hingen ihm zerzaust in die Stirn. Seine Hand streckte sich nach mir aus, schloß sich um mein Handgelenk.
    »Komm!« flüsterte er.
    »Ich bin schon geschminkt.«
    Es kam vor, daß Alwin mitmachte, wobei Pierre ihn mehr anzog als ich. Jetzt stand er am Fenster, putzte sich die Zähne und beachtete uns ebensowenig, wie wir ihn beachteten. Ich beugte mich über Pierre, strich mit den Lippen über seine nackte, sanft behaarte Brust. Mein Mund hinterließ eine rote Spur auf seiner Haut. Er zog mich tiefer zu sich hinab, führte meine Hand seinen Körper entlang. Die Wärme, die von ihm ausging, war aufreizend genug, aber augenblicklich hatte ich

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