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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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einmal im Monat den Katastropheneinsatz. Wir haben sogar Erdbebensimulatoren, was viele sehr spannend und lustig finden. Geschmackssache. Aber solche Übungen bewirken, daß wir vorbereitet sind. Bei einem Beben bleibt die Zahl der Opfer und das Ausmaß der Schäden im Verhältnis zu anderen Ländern gering. Das war nicht immer so. Noch vor fünfzig Jahren forderten Erdbeben und ›Tsunami‹ – Flutwellen – Hunderttausende von Toten.«
    »Wie kam das?«
    »Weil wir überwiegend mit Kohle und Gas heizten und kochten. Die Hauptgefahr war das Feuer. Die offenen Herd-flammen, die Bauweise unserer Holzhäuser, die Reisstrohmat-ten, die Trockenheit und der ständige Durchzug lösten Groß-
    brände aus, die ganze Städte verwüsteten.«
    »Entsetzlich!« Ich suchte seine Schulter, um mich in seine Beuge zu schmiegen. Er schloß mich enger in die Arme.
    »Das sollte nicht mehr passieren. Unsere Häuser sind so erd-bebensicher gebaut, wie es beim heutigen Stand der Technik nur möglich ist. Es wird behauptet, daß sie Stöße bis Stärke Sieben oder Acht auf der Richterskala aushalten.«
    »Schätzungsweise«, seufzte ich.
    »Rein theoretisch. In Wirklichkeit weiß man es nicht. Wir haben schon lange kein solches Beben mehr gehabt. «
    »Du hältst mich also nicht für hysterisch?«
    »Ich wollte, ich wäre so ausgeglichen wie du.«
    »Hast du auch Angst, Kunio?«
    »Das ist unvermeidlich.«
    Ich drückte das Gesicht an seinen Hals. Plötzlich lächelte er, ergriff meine Hand und zog mich hoch.
    »Zu Neujahr sollten wir keine düsteren Gedanken haben.
    Komm! Laß uns zum Kôfukuji-Tempel gehen!«
    Wir machten uns auf den Weg durch die klirrende Kälte. Es war Neumond. Die Sterne wirkten wie weißglühende Kohlen, die der Dezemberwind weit über den schwarzen Himmel verstreut hatte. Ihre funkelnden Myriaden schwärmten um die fünfstöckige Pagode, ein Wunderwerk aus Holz, schlank am Nachthimmel schwebend. Es war bald Mitternacht, die ganze Stadt schien auf den Beinen. Schon aus der Ferne war das Gemurmel der Stimmen zu hören. Die Masse der Besucher wanderte im flackernden Schattenspiel der erleuchteten Steinlater-nen. Es schien fast unmöglich, durch das große Tor hindurch-zukommen, doch wir ließen uns von der Menge tragen. Der Park war von großen Laternen erleuchtet; unter den Bäumen hatten Händler ihre Stände aufgestellt. Sie boten alle möglichen Naschereien an: Reisgebäck, Süßkartoffeln, Krapfen aus Tin-tenfischfleisch, an Spießchen auf Holzkohle gebacken. Die Besucher kauften jede Menge Talismane: glückbringende Neu-jahrspfeile, mit Kiefernzweigen und künstlichen Pflaumenblü-
    ten geschmückt – weil die Pflaumenbäume die ersten sind, die im neuen Jahr blühen –, kleine Drachen mit grellbunten Schau-spielermasken bedruckt, Schlüsselanhänger, Fächer. Um uns herum erzeugten Tausende von Schritten ein beständiges Rascheln; so klingt es, wenn Regen auf dürre Blätter niederfällt.
    Ein unendliches, unbeschreibliches Befreundetsein hielt mich wie eine Lebensluft umfangen. Kunio erklärte mir, daß die Tempelanlage unter dem Schutz der berühmten Fujiwara-Familie gestanden hatte, die ab der Mitte des 7. Jahrhunderts 500 Jahre lang Japan regiert hatte.
    »Die ursprüngliche Pagode wurde 730 gebaut, als Nara kaiserliche Hauptstadt war. Diese hier ist eine Kopie, immerhin schon alt, sie stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert.«
    Die Spiele von Licht und Schatten verliehen dem geschweiften Dachwerk, den riesigen schwarzen Bohlen etwas eigentümlich Bewegliches, als ob sie sich im Luftzug leicht hin und her schwangen. In ihrer Harmonie wirkten die Bauwerke wie phantastische Bühnenbilder, in einem für den Maßstab ganzer Welten errichteten Theater. Die wuchtigen Tore standen weit offen, ließen Statuen mit ernsten, schönen Gesichtern sehen. Von weitem sah es aus, als schwebten bronzene Riesen zwischen den Holzsäulen. Kerzen brannten in großen Leuchtern. Auf gewaltigen Sockeln schimmerten die Statuen – eine jede eine Emanation des Buddha. In vergoldeten Messingschalen häuften sich Opfergaben: rote und weiße Reiskugeln, Äpfel und Orangen, leuchtend wie Gold im rauchigen Kerzenlicht. Die Tempel und Pavillons, nach Weihrauch, Bienenwachs, frischen Früchten duftend, waren ein Reich der Schemen und Schatten, Welten außerhalb der Welt, wie auch die Bühne es sein kann.
    Wir zogen unsere Schuhe aus, ließen sie auf den Steinstufen mit den Hunderten von Schuhpaaren stehen, die bereits dort warteten.

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