Seidentanz
anzutreten. Das Schwert, dessen Vollendung Kunihiko das Leben gekostet hatte, wies eine besonders feine, wunderschöne Ayasugi-Komart auf dem Klingengrund auf, und die Schneide war rasiermesserscharf. Jedes Teil des Schwertes hatte seine Bezeichnung. Kunio brachte sie mir bei.
Und da ich ein gutes Gedächtnis hatte, behielt ich alles im Kopf.
»Siehst du, die Klingenspitze Kissaki hat eine leichte Krümmung, die heute üblich ist. Das Schwert hat ein breites und abgewandeltes Hamon, die Klingenmal-Marke also, die konti-nuierliche Linie hellen Stahls auf der Schneide. An der Boshi -
Klingenspitze – hat mein Vater zwei Monate gearbeitet.«
Er sprach wie zu sich selbst; es war, als wollte er sich diese Dinge einprägen, sich mit ihnen vertraut machen, um seine eigenen Zweifel zu tilgen. Am meisten beschäftigte ihn die Schnitzerei auf der Klinge, denn erst in dieser Schnitzerei zeigte sich die spirituelle Welt des Meisters, enthüllte sich die wahre Bestimmung des Schwertes. Es bekümmerte Kunio zutiefst, daß sein Vater ihn nicht in seine Pläne eingeweiht hatte.
»Aber das war nicht seine Art. Was die Arbeit betraf, war er ein Despot. Ich hatte zu gehorchen, keine eigene Meinung zu haben, blind seinen Anweisungen zu folgen.«
Während er sprach, hob er nur wenig die Stimme, so daß man ihn kaum hören oder verstehen konnte; mich irritierte das nie. Es war eine geheimnisvolle Einsamkeit in ihm, doch darin lag nicht das Gefühl der Verlorenheit oder der Druck des Al-leinseins, sondern das Ergriffensein von einem Geheimnis, das er zu ergründen versuchte.
Miwa war ein kleines Dorf, in seinen Traditionen verwurzelt.
Mitte Januar feierten die Bewohner das »Kleine Neujahr«, wobei der Vollmond den Tag bestimmte. Der Mondumlauf regelte die Feldarbeit, und die Bauern machten sich die Konzentration der günstigen Mondkräfte zunutze. In der Winterzeit, sagte der Volksmund, schläft der Gott der Reisernte auf den Gipfeln der Berge; im Januar steigt er herab und hält mit den Naßfeldern Hochzeit. Da es sich nicht um einen offiziellen Anlaß handelte, sagte Kunio, wolle er mir das Fest zeigen. Die Mittagswärme hatte den Schnee geschmolzen, die Feldwege waren voller Pfützen und Schlamm. Sonnendunst lag über den Feldern wie ein Schleier. Wir schlenderten in Gummistiefeln umher. Die Bauern beachteten uns nicht. Stimmengewirr, Ge-lächter und Trommelschläge erfüllten die Luft. Der pochende Rhythmus umkreiste die Naßfelder, weckte die Erde, bis sie zitternd lebendig wurde, weich wie ein liebender Körper. Die Bauern feierten das Fest, wie sie es vor fünfhundert Jahren gefeiert hatten. Mit dem Tod der Alten wurde nichts vergessen; Kinder gingen aus ihnen hervor und traten an ihre Stelle. Im Wechsel der Jahreszeiten, im Erlebnis des Säens und Erntens erkannten sie die Urmächte, die ihre Existenz und Nachkom-menschaft festigten. Rituelle Nachahmungen führten herbei, was sie darstellten: Gedeihen für Menschen, Tiere und Pflanzen. Die Erde war die Braut, die auf den Bräutigam wartete, stets fruchtbar und jung. Die Symbole waren überall und sehr eindeutig: Händler boten in Holzbuden kleine phallische Talismane und Süßigkeiten in Form von Geschlechtsteilen an.
Vermummte Männer schwangen Ruten und verfolgten die Zuschauer, die kreischend und lachend auseinanderstoben. Ihre hölzernen Masken waren alt und abgenutzt, das Schnitzwerk jedoch vollendet. Sie waren die Dämonen der Vegetation, die Geister der Ernte; ihre Geißelung war Segen. Krähen lösten sich aus den Bäumen, als eine Reihe junger Männer die Bö-
schungen entlangstapfte; gutgewachsene Burschen mit schmalen Hüften, die auf ihren erhobenen Armen einen Riesenphallus aus Pappmache schleppten. Sie trugen dickwattierte Kimono Jacken, Leggings aus Baumwolle und weiße Stirnbänder. Ihre nackten Füße steckten in Strohsandalen. Sie stießen im Chor unartikulierte Laute aus, schüttelten und schwenkten den Phallus rund um die Felder, die merkwürdigerweise nicht zugefro-ren waren. Einige, bereits angetrunken, taumelten und grölten unter dem Gelächter der Zuschauer. Kunio schmunzelte:
»Ich will dir die Poesie nicht verderben.«
Ich mußte lachen.
»Der ganze Anblick ist poetisch genug.«
Beim Dorfschrein war eine Holzbühne errichtet worden. Ro-te und weiße Stoffbahnen flatterten. Kleine und größere Sake-fässer, mit Strohgeflecht umwickelt, waren als Opfergaben gespendet worden. Dicht gedrängt hatten sich die Zuschauer bereits dort versammelt.
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