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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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nicht schämen, wenn wir vor Traumbildern davonlaufen.«
    Ich holte tief Atem. Nach einer Weile spürte ich eine neue Ruhe um mich. Und doch wehte ein eisiger Hauch durch die Luft. Wie seltsam, daß ich schwitzte, wo es doch plötzlich so kalt war. Daisuke schwieg. Ich starrte in seine Augen, diese Augen mit den unwahrscheinlich großen Pupillen, leuchtend wie warmer Samt.
    »Ach, habe ich wirklich nur geträumt?«
    Er neigte den Kopf, wandte nicht den Blick von mir ab. Seine Stimme klang sanft und voller Mitgefühl.
    »Vielleicht solltest du es lieber glauben, Ruth.«
    50. Kapitel
    E s ging auf Neujahr zu, eine hektische Zeit in Japan; die Tradition verlangt, das neue Jahr nicht mit den Angelegenhei-ten des alten zu belasten. So kommt es, daß der letzte halbe Monat des Jahres Shiwasu (alle Welt rennt) genannt wird. Doch die Familie Harada war in Trauer. Neujahrskarten wurden nicht abgesandt, und Kunio hatte sich im Onjôkan entschuldigen lassen; es ziemte sich nicht, daß er an irgendeinem Unterhal-tungsprogramm teilnahm. Rie und er verbrachten viel Zeit damit, die zahlreichen Beileidsbriefe pflichtgemäß zu beant-worten. Inzwischen übte ich mit den Kindern das Märchenspiel ein, das am Silvesternachmittag aufgeführt werden sollte. Ich nähte Kostüme, regelte die Beleuchtung, malte Bühnenbilder.
    Es machte mir Spaß, mit Aquarell- und Acrylfarben zu experimentieren. Die Arbeit half mir, meine Unruhe zu bewältigen.
    Gleichwohl mied ich gewisse Farben; dunkle Rot- oder Grün-töne weckten unangenehme Gefühle in mir. So leuchtete mein Märchenwald in hellen, smaragdenen Farben, mit blauen, zitro-nengelben und perlrosa Fabelblumen durchwebt. Der edelstein-artige Glanz der Bühnendekoration entzückte Chiyo Sakamoto, die oft kam, wenn ich arbeitete, und interessiert zusah. Sie wollte wissen, wo ich das Malen gelernt hätte. Ich erzählte ihr, daß meine Mutter mich für ein Jahr auf die Kunstgewerbeschu-le geschickt hätte.
    »Ich sah den Sinn nicht ein und sträubte mich dagegen. Aber sie sagte, eine Tänzerin müsse auch bei der Bühnengestaltung mitreden können. Bei der Inszenierung eigener Choreographien merkte ich, wie wichtig das war. Und vor allem später, als ich mit Behinderten arbeitete.«
    »Haben Sie immer diese Technik angewendet?«
    Ich dachte über die Frage nach und nickte schließlich.
    »Doch… ich denke schon.«
    »Es ist seltsam«, sagte Chiyo Sakamoto in ihrer sachlichen Art. »Die Farben sind klar wie Kristall und zugleich unendlich geheimnisvoll. Genauso, wie die Kinder es lieben«, setzte sie mit einem kleinen Lachen hinzu. Es klang, als ob sie verlegen war und es sich nicht anmerken lassen wollte.
    Silvester kam. An allen Haustüren hingen Dekorationen: in einem Korbgeflecht steckende Bambus- und Kiefernzweige, Kadotnatsu genannt, oder auch Strohgebinde, die mit einer Orange und Languste verziert waren. In Konditoreien und Reisgeschäften wurden Kagami-Mochi – Spiegelkuchen –
    angeboten. Ich wußte von Kunio, daß sich der Name auf den Kami, den Gott der Reisfelder, bezog. Jener Gott, der eine reiche Ernte sicherte und der, wie man glaubte, eine runde Form hatte, wurde durch den Spiegel der Schamanen, aber auch durch Reiskugeln und Reisscheiben versinnbildlicht. Die Japaner neigen nicht zur Gedankenlosigkeit, halten ihre Bräuche auch nicht für überholt, sondern pflegen sie mit viel Bewußtsein.
    »Wir glauben«, sagte Kunio, »daß unsere Lebenskraft am Jahresende ihren tiefsten Punkt erreicht, ebenso, wie die Tage kürzer werden und die Sonne tief steht. Sie wächst wieder in uns mit der wachsenden Kraft der Natur. Riten und Symbole sind dazu da, sie neu anzuregen.«
    Das Märchenspiel wurde aufgeführt. Im Onjôkan gab es einen kleinen Theaterraum mit perfekter Akustik. Eltern und Verwandte bildeten das Publikum. Die Großväter trugen seriö-
    se Doppelreiher, strafften den Rücken und gaben sich wortkarg, während alle Großmütter unbefangen kicherten und plauderten.
    Junge Väter schleppten geduldig die Kleinsten herum. Viele Frauen waren im Kimono erschienen. Die starken Winterfar-ben, orangerot, glühend oder hell, fast silbrig glänzend, zauberten ein Licht im Saal, das sonnengleich die Schatten tilgte.
    Japanerinnen im Kimono riefen bei mir stets den Eindruck strahlender Eleganz hervor. Es war weniger die Frau, die ich wahrnahm, sondern ein bis ins kleinste Detail vollendetes Kunstwerk. Denn zum Gewand und seiner wundervollen Gürtelschärpe gehörte stets das

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