Seidentanz
willst: Diese Kraft hat er durch dich gefunden. Ich möchte, daß du es glaubst«, setzte er mit Nachdruck hinzu.
Ich umfaßte die Schale mit beiden Händen.
»Ich nehme ihn wichtig und ernst. Das ist neu für mich. Frü-
her machte es mir nichts aus, mit einem Mann eine Nacht zu verbringen und am Tag darauf wieder zu gehen.«
Seine Mundwinkel zuckten.
»Ja, du bist eine Frau, die den Männern Lust macht, sie ken-nenzulernen.«
Ich blinzelte ihn an, über den Rand der Schale hinweg.
»Ohne es zu wissen, vielleicht…«
»O nein«, sagte er in bestimmtem Tonfall, »vor allem in der Gegenwart von Männern.«
Jetzt lächelten wir beide. Ich sagte:
»Für gewöhnlich stimmt das. Aber heute nicht mehr. Etwas hält mich bei ihm fest. Wenn Sie mich fragen, was für eine Art Gefühl das ist, nun, das frage ich mich selber.«
Er unterdrückte ein Kichern.
»Das würde ich mir niemals anmaßen!«
Sein Gesicht wurde wieder ernst.
»Ein Bedürfnis in seiner Seele hat in dir das erkannt, was es suchte. Du bist sehr wichtig für ihn, Ruth. Er braucht dich.«
»Auf diesen Moment habe ich schon lange gewartet«, sagte ich. »Daß ein Mann mich braucht.«
»So kann man es wohl erklären«, meinte er.
Ich lächelte weiter, aber mein Lächeln erstarrte. Es war plötzlich still geworden. Zu still. Kein Lufthauch bewegte sich.
Trotz der Ruhe des Himmels und der Bäume richteten sich meine Nackenhaare auf. Das Licht war blutrot, spielte in Purpur über. Ein Zauber lag über dem dunklen Berg, die Schatten von Jahrtausenden hoben sich schwebend aus der Erde. Es roch nach Schnee, nach faulendem Moos. Ich schüttelte den Kopf, um die Beklemmung loszuwerden, beugte mich vor, flüsterte die Worte in die kalte Luft.
»Ich werde diese Dinge nicht los, Daisuke-San. Das, was der Ranryô-ô mir zeigte, ist immer noch in mir. Und sehen Sie, ich kann nicht mehr ruhig schlafen. Ich habe Angst…«
Er nickte, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Nur wenige Menschen wagen sich an den Rand der Dunkelheit. Die meisten verschließen lieber ihre Augen und Ohren.
Auf diese Art leben sie bequemer.«
Ein Schauer schüttelte mich. Ich klapperte mit den Zähnen.
»Wenn ich das nur könnte! «
Der Berghang lag schon im Schatten. Ein seltsamer Hohl-raum war in meinem Kopf, und darin schimmerte, gestochen scharf, die Kultstätte unter den Bäumen. Mein inneres Auge sah die vereisten Felsen, die schwärzlichen Moose und die Quelle, gefroren unter dem Atem des Schnees. Nur noch ein Funken Licht glühte auf dem alten Schwert; der Schatten zog eine gerade Linie über die Steine, bis zu jenem finsteren Spalt, in dem die Schlange im Winterschlaf lag. Und plötzlich wuchs eine kreisförmige Woge der Spannung aus dem tiefen Mark des Gesteins; die zusammengerollte Schlange bewegte sich. Eine ferne Erschütterung streifte ihre Wahrnehmung. Die Ringe kräuselten sich wie eine Welle, die langsam eine Wasserhaut hebt. Die Lider entblößten die glitzernden Augen. Dann sackten die Ringe wieder schlaff auf den Stein, und ebenso kam das überfeinerte Zellensystem meines Gehirns zur Ruhe. Das Bild schwand aus meinem Sinn. Ich zuckte leicht zusammen; meine Augen schweiften unruhig umher. Unwillkürlich blickte der Priester über seine Schulter hinweg, als ob ein fremdes Ge-räusch sein Gehör getroffen hätte. Doch nur ein Windstoß strich über die Zweige, Schnee brach zerstäubend wie eine kleine weiße Wolke zusammen.
»Haben Sie es auch gefühlt, Daisuke-San?«
Er nickte, tief atmend.
»Was war das?« stieß ich leise hervor.
Wir schauten uns an. Er sagte:
»Die Festigkeit des Bodens ist eine Täuschung. Viele Erd-stöße sind so leicht, daß nur seismographische Instrumente sie registrieren. Wir sagen in Japan, Erdbeben entstehen, wenn der Katzenfisch in den tiefen Gewässern seine Flossen schüttelt.
Das weist auf ihre Unberechenbarkeit hin. Und auch auf ihr Geheimnis. Du bist ein hochgradig sensibler Mensch, Ruth.«
»Ich wäre es lieber nicht«, erwiderte ich, schwer atmend.
»Erdbeben zu ahnen ist ein Instinkt, der Tieren und Vögeln zu eigen ist. Indessen, unsere Überlieferung weiß von Menschen zu berichten, die mit ihren Körpern die Schwingungen der Erde empfinden. Es ist eine Gabe. Und wie alle Gaben kann sie zu einer Bürde werden. Aber du mußt sie tragen.«
Ich strich mein Haar aus der klebrigen Stirn.
»Ich weiß nicht, ob ich stark genug bin.«
Unvermittelt seufzte er.
»Du kannst sagen, daß du geträumt hast. Wir müssen uns
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