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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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beeilte sich nicht im geringsten, es war ihr auch nicht zu umständlich, die Bohnen zuerst in einer Kaffeemühle zu mahlen. Bald kochte das Wasser, Hanako brühte den Kaffee auf; Kunio brachte Tassen, Kondensmilch und braunen Zucker auf den Tisch. Von Zeit zu Zeit warf er seiner Großmutter einen fragenden Blick zu. Sie sagte kein Wort. Ihre Lippen waren fest zusammengepreßt. Doch ihre Erregung flak-kerte zu uns herüber, deutlich spürbar und nur mühsam beherrscht. Endlich war der Kaffee fertig. Hanako goß ein. Ich kostete den Kaffee. Er war vorzüglich. Erschöpft und dankbar lächelte ich Hanako an.
    »Wunderbar!«
    Hanako nickte, doch mit ernstem Gesicht. Sie bat uns um ein paar Augenblicke Geduld, erhob sich mit der Geschmeidigkeit, die so wenig mit ihrem Alter im Einklang stand, und verließ lautlos das Zimmer. Kunio sah ihr gedankenvoll nach.
    »Irgend etwas bekümmert sie.«
    »Hat sie dir nicht gesagt, warum sie uns anrufen wollte?«
    Er schüttelte den Kopf. Inzwischen kam Hanako zurück, ließ sich uns gegenüber auf dem Baumwollkissen nieder. Sie hielt ein altmodisches Dokumentenkästchen, schwarz lackiert in den Händen. Die kleine Stehlampe brannte; sie beleuchtete von unten ihr ebenmäßiges Gesicht, hob die Wangenknochen und die sehr hohe Stirnfläche hervor. Das Gesicht, fast vollkommen in seiner Harmonie, erinnerte mich an jene blaugewandete Nô-
    Gestalt, die auf dem Gemälde in Chiyo Sakamotos Büro ihren goldenen Fächer schwang. Kerzengerade kniete Hanako vor dem alten, schönen Tisch. Das Dokumentenkästchen, das sich auf der glatten Holzfläche spiegelte, war ein Gegenstand kost-barster Arbeit, den man heutzutage nur noch selten außerhalb eines Museums sieht. Der Lack war, so alt er auch sein mochte, nirgends abgesplittert. Er hatte noch immer den tiefen, samtar-tigen Glanz. Das Familienwappen der Harada, mit echtem Gold aufgetragen, schimmerte unter der polierten Oberfläche wie eine Wasserpflanze in einem dunklen Strom. Die Atmosphäre hatte sich plötzlich verändert. Alles war still, andächtig fast, als habe die Zeit einen Stillstand bewirkt, voller Traumbilder aus einer anderen Welt. Sie waren nicht die unsrigen und erfüllten uns mit Staunen. Hanako brach als erste das Schweigen.
    »Ich habe oft gedacht, daß wir eine Wand zwischen uns und dem Wesentlichen errichten. Aber manchmal kommt ein Echo zurück, leise und geheimnisvoll. Und dann geschehen seltsame Dinge.«
    Sie holte tief Atem, biß sich auf die Lippen.
    »Obaa-San, du hast geweint«, stellte Kunio sanft fest.
    Zuerst schien Hanako ihn nicht zu hören, dann schüttelte sie den Kopf.
    »Das kommt von der Kälte, deshalb sind meine Augen so rot. Vielleicht bin ich auch etwas müde.«
    Sie seufzte und fuhr fort:
    »In den letzten Wochen gab es viele Dinge, die getan werden mußten. Ich bemühte mich, alle Aufgaben so gut wie möglich zu erfüllen. Und heute, zum erstenmal seit vielen Tagen, beschloß ich, den Pinsel zu führen. Die Sonne schien, das Licht war perfekt. Also ging ich in mein Atelier. Kunihiko zum Gedenken zündete ich ein Weihrauchstäbchen vor dem Tokonoma an und begann mit der Vorbereitung des Schreibmaterials. Den staubigen Tuschkasten reinigte ich mit einem Seidentuch. Dann trat ich durch die Fenstertür nach draußen. Ich schlüpfte in meine Zon und watete durch den Schnee, bis zu einem Strauch.
    Von einem Zweig nahm ich eine Handvoll unberührten Schnee und schmolz ihn, um ihn mit der Tusche zu vermischen… «
    Der Kaffee hatte meine Übelkeit nur für kurze Zeit gelindert.
    Jetzt setzten die Kopfschmerzen von neuem und stärker ein.
    Hanako indessen sprach weiter; ich sah das Bild klar vor mir: das Zimmer mit seiner Täfelung, geschliffen wie Kristall, das Sonnenlicht hinter der Fenstertür, das die brokatgeränderten Matten vergoldete. Das Zimmer paßte zu Hanako, wie sie da in aufrechter Haltung vor dem Schreibpult kniete. Den Rand des Reispapiers hielt sie mit drei Fingern gespannt. Sie atmete tief ein und aus, um jene körperliche Gelockertheit beim Schreiben zu erreichen, die jede Schattierung zur Vollendung bringt. Kein lästiger Gedanke sollte ihr Herz beunruhigen. Doch es gelang ihr nicht, sich zu sammeln. Etwas stimmte ganz und gar nicht; die Harmonie im Raum war getrübt. Es war schon immer so gewesen, daß Hanako sich nur unter peinlichster Beachtung von Ordnung und Form konzentrieren konnte. Behutsam legte sie den Pinsel aus der Hand. Ihr Kopf war jetzt in eine ganz bestimmte Richtung

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