Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Wuchold
Vom Netzwerk:
Gesicht zu entdecken, das sich mit Bewunderung nach ihm umdrehte. Aber er sah niemanden, den er kannte. Wer sollte das auch sein?
    Willem drehte eine Runde um den Sloane Square und fuhr auf Knightbridge zu. Bei »Harvey Nichols« bog er nach links ab und folgte der Route entlang dem Hyde Park, bis er die Kensington High Street erreichte. Dann schwenkte er rechts ein und fand sich in Phillimore Gardens wieder. Langsam steuerte Willem seinen weißen Alfa am Haus Nummer 46 vorbei. Das Haus sah verwaist aus. Weder der BMW noch der Range Rover standen dort. Was wollte er eigentlich hier? War er noch ganz bei Trost? Wut und Scham trieben Willem das Blut in den Kopf. Mit quietschenden Reifen jagte er davon.
     
     
    Gegen neun Uhr abends verließ Willem das Haus, warf einen Blick auf den weißen Alfa, der mit geschlossenem Dach vor der Tür stand. Er hatte sich von dem Kauf irgendeine Veränderung erwartet, die aber nicht eingetreten war. Willem war auf dem Weg ins »Finch«, seinem Stammlokal in der Fulham Road, das er das letzte Mal gemeinsam mit Nikita betreten hatte. Er fand es passend, dort seinen vorerst letzten Abend in London zu verbringen.
    Das Pub war gut gefüllt. Alle Tische waren besetzt. Willem stellte sich an die Theke und wartete geduldig, bis ihn die Bedienung wahrnahm. Willem bestellte ein Pint Lager und einen Whisky. Den Whisky trank er sofort aus.
    »Leisten Sie mir auf einen Drink Gesellschaft?«, fragte ein Mann, der neben ihm stand.
    Er schien schon länger dort zu stehen, ohne dass Willem ihn wahrgenommen hatte.
    »Warum nicht? Gerne«, antwortete Willem.
    »Vielleicht noch einen Whisky?«
    Der Mann schaute auf Willems leeres Glas.
    »Ja, bitte.«
    Während der Mann die Bestellung aufgab, sah Willem ihn sich genauer an. Er war etwa so groß wie Willem, aber kräftiger und vielleicht fünf bis zehn Jahre älter. Er hatte ein volles, frisches und freundliches Gesicht. Nur die Augen waren leicht gerötet. Seine Kleidung war unauffällig, weder geschmackvoll noch geschmacklos. Alles an ihm wirkte auf Willem völlig durchschnittlich. Er konnte partout nichts Besonderes oder gar Verdächtiges an ihm entdecken.
    Der Mann trank selbst ein weiteres Pint Bitter. Sie stießen an.
    »Cheers!«, rief Willem fröhlich.
    »Cheers!«, sagte auch der Unbekannte und nahm einen kräftigen Schluck. »Ach, es wäre doch eine Schande, hier allein rumzustehen. Zu zweit kann man sich doch noch mal so gut langweilen.«
    Willem lachte höflich.
    »Was machen Sie hier in der Gegend?«
    Wollte er Willem ausfragen?
    »Nichts, nichts Besonderes. Ich wohne hier ein paar Straßen weiter«, sagte Willem.
    »So? Schöne Gegend!«
    »Ja, aber leider auch ziemlich teuer.«
    Der Unbekannte reagierte nicht. Er schien in das übliche Wehklagen über die hohen Preise in London nicht einstimmen zu wollen.
    »Und was hat Sie hierher geführt?«, fragte Willem unverbindlich.
    Dem Mann schossen Tränen in die Augen. Willem war peinlich berührt.
    »Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Ich habe mich von meiner Mutter verabschiedet. Sie starb gerade.«
    »Mein herzliches Beileid.«
    Willem war nichts anderes als diese übliche Redewendung eingefallen. Er ärgerte sich darüber. Doch der Unbekannte störte sich nicht daran. Er dankte Willem vielmals und entschuldigte sich für seine Tränen. Er zog ein großes Taschentuch hervor und schnäuzte sich die Nase.
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte Willem und dachte, dass sich das schon besser anhörte, verständnisvoller, menschlicher.
    »Cheers!«, sagte der Mann. Sie stießen nochmals an. Willems Glas war wieder leer. »Kommen Sie, trinken Sie noch einen. Noch einen Whisky, ja?«
    Willem wäre jetzt lieber gegangen. Er fühlte sich unbehaglich. Aber bevor er etwas sagen konnte, hatte der Unbekannte bereits bestellt.
    »Aber das ist meine Runde. Ich bestehe darauf.«
    Willem wollte den Eindruck vermeiden, als würde er wegen der bezahlten Drinks bleiben. Der Mann schien ihn aber überhört zu haben und zahlte erneut.
    »Es ist ein merkwürdiges Gefühl für mich, die Mutter verloren zu haben«, setzte der Unbekannte wieder an. »Ich weiß, das ist es wohl für jeden. Aber ich habe mit meiner Mutter mein ganzes Leben verbracht, jeden Tag sie und ich, das war alles. Sonst gab es niemanden. Sie war mein ganzes bisheriges Leben.«
    Er sprach ohne Selbstmitleid, zumindest war es nicht herauszuhören. Es klang eher wie eine Aufzählung nüchterner Feststellungen.
    »Ich weiß nicht, wie

Weitere Kostenlose Bücher