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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Wuchold
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mich mit Schreien des Hasses empfangen.« Aber es war nicht seine eigene Stimme, die Willem hörte. Es war die Stimme eines Fremden.
     
     
    Drei Tage hatte der Fieberanfall gedauert. Erst am Donnerstag konnte Willem wieder einen klaren Gedanken fassen. Am frühen Nachmittag weckte ihn Heißhunger auf. Er machte sich eine große Portion Pasta, schüttete Ketschup darüber, etwas anderes hatte er nicht im Haus.
    Sein Zimmer sah wie eine Trümmerlandschaft aus. Pia hatte ihre Plastiktasche mit alten Sachen zurückgelassen, die sie nicht nach Spanien mitnehmen wollte. Die Kleidungsstücke, die Willem zuletzt getragen hatte, bedeckten den Boden. Der Revolver beschwerte einen Stapel Zeitungen auf dem Tisch unter dem Fenster. Die schwarze Sporttasche der Hewitts war halb offen. Aber selbst der flüchtige Blick auf die fünfhunderttausend Pfund ließ ihn im Augenblick gleichgültig. Willem saß auf seinem Bett und stopfte hastig die Nudeln in sich hinein.
    Das Telefon klingelte.
    »Hallo?«
    Willem musste husten. Er war es nicht mehr gewohnt zu sprechen.
    »Will, was ist los? Bist du in Ordnung? Hier ist Pia.«
    Wie immer schien sie guter Laune zu sein.
    »Pia! Schön, dass du dich meldest. Bist du schon in Spanien? Ist alles glatt gegangen?« Wieder hustete Willem. »Entschuldigung, aber ich war krank.«
    »Mein Gott, du hörst dich schrecklich an.«
    »Es ist nichts, wirklich. Nun sag doch, wo steckst du?«
    Pia geriet ins Schwärmen.
    »Es ist herrlich, Will. Ich bin bei meiner Schwester in Barcelona. Draußen sind es fünfunddreißig Grad. Und alles lief super. Keinerlei Kontrollen. Nur kurz nach der Abfahrt musste ich einmal meinen Pass vorzeigen. Hast du etwas zu Schreiben zur Hand? Ich wollte dir die Telefonnummer meiner Schwester geben.«
    Willem kramte einen Stift hervor und schrieb die Nummer, die Pia ihm diktierte, auf ein Stück Zeitungspapier.
    »Und gibt es irgendetwas, was ich wissen muss? Oder kannst du gerade nicht sprechen, weil ein Polizist hinter dir steht?«
    Pia lachte.
    »Nein, es war nichts, nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.«
    Warum sollte er ihr erzählen, dass man Nikita gefunden hatte, dass er nicht »gevierteilt« worden war? Pia hätte jetzt nichts mehr davon. Es würde sie nur unnötig beunruhigen.
    »Ich sage doch, Will, es ist alles vorbei. Uns kriegt keiner. Und wenn doch, dann nicht vor zwölf Uhr mittags. Früher stehe ich nicht auf.« Pia lachte wieder. »Ach, Will, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich ich bin, wieder hier zu sein.«
    »Doch, Pia! Das kann ich mir vorstellen. Falls etwas Unerwartetes passieren sollte, lass ich es dich rechtzeitig wissen. Ich wünsche dir weiterhin alles Gute!«
    »Danke, Will. Und sieh zu, dass du auch aus London raus kommst. Fahr in die Sonne! Bye, bye, Will.«
    »Bye, bye, Pia.«
    Willem legte auf.
    Er wühlte in seinem Bett nach den Zeitungen, um den Bericht über den »Rätselhaften Mord« zu lesen, der ihn bis in seine Albträume verfolgt hatte. Willem erschrak. Die Kriminalisten, Gerichtsmediziner und Bürokraten schienen alles über jenen Nikita Sergeij Basarow zu wissen, den ehemaligen russischen Seemann, der vor zehn Jahren in Großbritannien um politisches Asyl nachgesucht hatte, jedenfalls mehr als Willem von ihm wusste. Aus der Zeitung erfuhr er, dass Nikita vorbestraft war, sogar acht Monate wegen Diebstahls im Gefängnis gesessen hatte, und dass er die letzten fünf Jahre sowohl in Reading als auch Hounslow Sozialhilfe kassiert hatte.
    In dem Bericht stand auch, dass ein Steckschuss in die Wirbelsäule zu schweren inneren Blutungen geführt hatte, die wahrscheinlich tödlich gewesen wären, wenn man den Schwerverletzten nicht zuvor erstickt hätte. Und der Zeitpunkt der Schussverletzung wurde ebenso exakt angegeben wie der Zeitpunkt seines Todes. Trotz der vielen Fakten, dachte Willem, musste der Mord für die Polizei rätselhaft sein, weil es einfach kein Mord war, sondern Pia und er Nikitas langes Sterben nur verkürzt hatten.
    Für Willem war nur eins rätselhaft: Die Polizei hatte offensichtlich noch nicht erkannt, dass ein Zusammenhang zwischen Nikita und Hewitt bestand, oder sie hatte ihre Überlegungen nicht an die Presse weitergeben, um nicht die weiteren Ermittlungen zu gefährden. Willem machte sich nichts vor. Er konnte sich nicht in Sicherheit wiegen. Pia hatte Recht. Er musste raus aus London.

 
19
     
     
     
    Nichts war vorbei. Sein Entschluss stand deshalb fest. Er würde London verlassen.

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