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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Die Weine reichten von leicht und fein über eine natürliche Süße und eine dezente Säure hin zu wirklich wuchtigen Kreszenzen mit kräftigem Tannin. Das war Vulkan pur   – mit den Rappen vergoren. Tief im Gewölbe des Barriquekellers ließensie die Probe dann bei einer Fassprobe ausklingen. Sogar die unfertigen und in der Entwicklung befindlichen Weine ließen ahnen, dass die Zukunft gesichert war.
    Frank Gatow ging zu seinem Lancia. »Kommen Sie mit zu uns, wir wohnen im Hotel ›Il Calice‹, meine Frau wird sich freuen. Die Küche ist ausgezeichnet, ein Sternekoch, halb badisch, halb italienisch. Ich sterbe vor Hunger. Und dann sind weitere Italiener angemeldet, Juroren wie Sie. Es kann ein netter Abend werden.«
    Henry zögerte, er fürchtete sich vor der lauten Menge, aber wenn er jetzt zurück in sein Hotel fuhr, würde er duschen, sich hinlegen und heute nicht mehr aufstehen. Und das wäre schade. Also willigte er ein.
    »Aber für eine Nacht das Hotel zu wechseln, lohnt sich nicht, vielleicht nach der Challenge, ich habe gerade erst mit meiner Recherche angefangen.«
    Das traf sich für den Fotografen gut, auch er würde mindestens noch zwei Wochen bleiben. »Ein Bildband macht sich nicht auf die Schnelle. Hoffentlich hält das Wetter.«
    »Wollen Sie hübsche kleine Dörfer fotografieren, die sich zwischen die Hügel ducken?«
    »Mich erinnern die Berge mehr an Abraumhalden. Aber es gibt wunderschöne Ansichten hier und Ausblicke, wie heute Nachmittag. Es geht auch nicht nur um Wein, nicht nur ums Offensichtliche. Man muss nah rangehen, ganz dicht, und dann noch einen Schritt, dann sieht man erst, man muss sich auf die Menschen einlassen   …«
    Nur nicht zu dicht, dachte Henry, wenn man zu nah rankommt, kriegt man leicht was ab   – und er dachte wieder an die verdorbenen Tanks und an Templin. »Und wer schreibt den Text zu Ihrem Buch?«
    »Na   – Sie vielleicht?«
    »Ich bin zu weit weg von der Gegend, von den Leuten, von ihrem Wein, um das zu können.«
    »Erst die Distanz schafft Nähe.«
    »Sie stehen auf Dialektik?«
    »Wenn man sich daran hält, kann man einiges damit anfangen   – Süße und Säure im Wein scheinen sich zu widersprechen, doch erst aus dem Widerspruch entsteht der Genuss.«
    Das kommt ganz auf die Härte des Widerspruchs an, dachte Henry und stieg in seinen Wagen.

6
Ein tiefer Schnitt
    Im Gartenrestaurant des »Il Calice« an der Straße nach Schelingen war kein Platz mehr zu bekommen. Henry wartete an der Bar, trank einen doppelten Espresso gegen seine Müdigkeit und sah Kellner mit vollen Tabletts in den Garten eilen. Wie nach einer Schlacht kamen sie mit den abgegessenen Tellern zurück, mit halb vollen Gläsern und Brotresten in den Körben. Alles geschah im Laufschritt, und die Dame mit italienischem Akzent, dem Kommandoton nach die Besitzerin, wies Henry darauf hin, dass er im Weg stünde. Beim zweiten Anranzer wurde sie bereits ungehalten.
    Noch aus einem anderen Grund fühlte Henry sich deplatziert: Das italienisch-folkloristische Getue, »
buona sera, Signora«,
und noch ein strahlendes »
come va«
an die fraternisierende Umarmung mit dem Küsschen angehängt, war zu dick aufgetragen, um ehrlich gemeint zu sein. Da war ihm das Kumpelhaft-Joviale der Spanier oder ihre vornehme Distanziertheit lieber   – oder nur vertrauter? Wahrscheinlich ging ihm dieses Getue deshalb besonders auf den Nerv, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, den freien Abend zu genießen, während Isabella sich mit Problemen herumschlug.
    Henry suchte nach etwas Versöhnlichem und fand es in der modernen Einrichtung, weder italienischer Kitsch noch altdeutsch mit Herzchen in den Rückenlehnen der Stühle. Und auch die Terrasse mit bequemen Korbstühlen an rundenTischen, getrennt von Blumenkübeln, war geschmackvoll gestaltet.
    Frank Gatow, im Gegensatz zu ihm frisch gewaschen und bester Laune, befreite Henry aus seiner misslichen Lage in der Nische, die Kaffeetasse in der Hand. »Sollen wir nicht doch fragen, ob ein Zimmer frei ist?«
    »Für heute macht das wirklich wenig Sinn«, erklärte Henry, »und morgen sind wir in Baden-Baden. Besser nach der Challenge. Dann habe ich noch einige Winzer auf meiner Besuchsliste.«
    Frank Gatow akzeptierte die Ausflucht, dabei war es offensichtlich, dass Henry sich hier nicht wohl oder gelitten fühlte. »Meine Frau fährt nach der Challenge zurück in die Toskana, das Weingut wartet, sie reist mit der Bahn, außerdem brauche ich den Wagen.« Er

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