Sein letzter Burgunder
Herzen. Auch die marinierte Lammkeule war ein Gedicht. Dazu passte der Wein aus Kalabrien, allerdings war es ein bedeutend älterer Jahrgang.
Die Ablehnung des zweiten Glases wurde als persönliche Ablehnung der anwesenden Winzer begriffen, Henry sah es ihnen an. Das Argument, dass er in der Dunkelheit den Kaiserstuhl auf schmalen Straßen durchqueren musste, ließ man nicht gelten. Polizei sei nicht mehr unterwegs und kaum noch ein Auto auf der Straße. So gut das Essen war, so unwohl fühlte sich Henry in dieser Gesellschaft. Er sehnte sich nach dem abschließenden Kaffee – dann wollte er aufbrechen. Zu seiner Erleichterung rückte Frank Gatow zu ihm.
»Wieso sprechen Sie fließend Italienisch? Ich habe Sie nicht ein einziges Mal zögern oder nach Worten suchen sehen.«
Der Fotograf seufzte. »Die Frage kommt immer. Entweder man ist ein Sprachgenie, was ich nicht bin, oder man ist zweisprachig aufgewachsen. Bei mir ist es anders gewesen. Als Junge habe ich in Turin gelebt, mein Vater hat bei einem deutschen Tochterunternehmen gearbeitet, und ich bin dort zur Schule gegangen, und nicht zur Deutschen Schule, dafür hatten meine Eltern kein Geld. Das war gut so, denn ich habe dadurch mehr als nur die Sprache gelernt. Na ja, und auf einer Reise vor einigen Jahren habe ich dann meine jetzige Frau getroffen. Meine Tochter versteht sich wunderbar mit ihr, aber Antonias Kinder verachten mich. Sie nennen mich Adolf, den Germanen.«
Gatow zuckte mit den Achseln, er wirkte nicht amüsiert. »Sie besuchen ihre Mutter nur, wenn ich unterwegs bin. Sie gestatten mir die Gegenfrage? Wie kommen Sie in Spanien mit der Sprache zurecht?«
»In Spanien sehr gut, aber ich lebe in Barcelona, in Katalonien, und da spricht man Catalán, verstehen Sie?Catalán! Bei Zuwiderhandlung wird man auf unschöne Weise zurechtgewiesen. Die Katalanen haben den Stierkampf nicht verboten, weil sie das für Tierquälerei halten, sondern weil sie dem übrigen Spanien eins auswischen wollen. Mit Spanisch bin ich aufgewachsen.«
In kurzen Worten erzählte Henry seine Geschichte von seiner in Spanien geborenen Mutter und dem deutschen Vater. »Daher der Name Meyenbeeker. Von meiner Mutter allerdings, das mag pathetisch klingen, lernte ich die Sprache der Liebe und alles, was die schöne Seite des menschlichen Umgangs betrifft. Bei uns – sehen Sie, jetzt sage ich schon
bei uns
, da lieben die Mütter ihre Kinder und erziehen nicht ständig an ihnen herum. Kinder sind kein Projekt, Kinder sind ein Schatz, es gibt keinen größeren.«
»Das sehe ich auch so. Ihre Eltern leben noch?«
»Sie werden ein wenig wackelig, aber so ist das eben. Und Ihre Eltern?«
»Nicht unterzukriegen«, sagte der Fotograf mit sichtlicher Genugtuung. »Letzten Herbst waren sie bei uns und haben sich sofort in die Routine der Weinlese eingefügt. Meine Mutter spricht die Sprache nicht mehr gut, ihr fehlt die Übung. Sie übernahm das Kochen für die Lesehelfer und hat damit die Gaumen unserer Leute erobert.«
»Bei Italienern will das was heißen. Wenn die Basis stimmt, wenn die Leute sich mögen und respektieren, dann kriegen sie das hin«, sagte Henry und dachte plötzlich an den Sabotageakt. »Man braucht allerdings Führung und Vermittlung.«
»Hier hört man oft, dass man sich für ein Land entscheiden soll«, fuhr Gatow fort. »Ich finde, man soll sich zuerst für sich selbst entscheiden. Ob ich nun Deutscher bin oder Italiener – Europäer zu sein ist doch eine Option, meinen Sie nicht?«
Für Henry war diese Frage längst beantwortet. Anders sah er sich sowieso nicht.
»Aber in Bezug auf den Respekt stimme ich Ihnen zu«, fuhr der Fotograf fort. »Mit Antonias Kindern wird es nie was werden, es hängt nicht davon ab, wie gut ich Italienisch spreche. Beide sind total auf den Vater fixiert. Dummerweise sitzt der …« Frank Gatow brach mitten im Satz ab.
Henry horchte auf. Also hatten auch andere Familien jemanden aus dem Clan im Knast? Wo konnte man schließlich anders »sitzen« als hinter Gittern? Der Frage auf den Grund zu gehen verbot sich, aber er durfte sich Gedanken machen. Hatte Signore Vanzetti auf seinem Weingut gedreht, gepanscht, an der Steuer vorbei produziert, war ins Gefängnis gewandert, und seine unbescholtene Frau führte das Weingut indessen weiter? Keiner ist, was er scheint, der Satz ging Henry immer wieder durch den Kopf, und er warf einen skeptischen Blick hinüber zu Signora Vanzetti.
Aber in Frank Gatow täusche ich mich
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