Sein letzter Burgunder
sagen, Wein ist mein Beruf.«
»Aber nicht als Winzer. Sie schreiben darüber?«
»Sieht man mir das an?«
»Ich schon, ich war viel mit Schreibern unterwegs. Ihr seid euch alle irgendwie ähnlich, es ist dieselbe Gattung.«
Henry empfand es als kurios, dass sein Gegenüber ihn ähnlich betrachtete wie er ihn. »Sie
haben
zu tun gehabt? Ist das vorbei?«
»Den Fotoreporter geben jetzt andere. Heute mache ich nur noch mein eigenes Ding: Bildbände, auch Fotoreportagen, ein wenig Werbung, aber nur für Winzer, die ich gut leiden kann und die nicht vom Mainstream mitgerissen werden. Aufträge nehme ich nur an, wenn ich selbst gestalte. Alles andere langweilt mich.«
»Wenn man sich das leisten kann …«
»Die Zeiten, als ich im Auto schlief, weil ich mir nicht mal ein billiges Hotel leisten konnte, waren nicht die schlechtesten. Ansonsten helfe ich meiner Frau im Weingut oder begleite sie auf Reisen.«
»Jetzt sind Sie allein unterwegs?«
»Meine Frau ist zur Baden-Baden Wine Challenge eingeladen, als Jurorin. Sie hebt den Ausländeranteil. Ich bin nur der mitreisende Ehegatte. Morgen Abend geht’s los. Ich nutze die Gelegenheit, ich arbeite an einem Buch über Menschen aus der Weinwelt.«
»Da werden Sie einiges vorgeführt bekommen.« Henry lachte. »Sie wissen, wer bei der Eröffnung redet?«
»O ja, der Oberguru Alan Amber, höchstpersönlich aus dem Götterhimmel herabgestiegen. Den Clown muss man gesehen haben, den König des Allgemeinplatzes. Gleichzeitig ist er ein Phänomen, ein Genie in der kreativen Kombination immer gleicher Begriffe. Untersuchen Sie mal seine Sprache. Ich werde ihn fotografieren. Sie sind auch dabei? Was halten Sie von ihm? Ist er ernst zu nehmen?«
Henry zögerte mit der Antwort; einem unaufmerksamen Beobachter wäre das sicher entgangen, aber dieser Gatow verstand es, genau hinzusehen. Sich herauszureden nutzte wenig.
Der Fotograf grinste. »Da sind wir ja einer Meinung. Ich liebe die Sage von Dädalus und Ikarus.«
Es ist selten, dass man ohne viele Worte und ohne sich lange zu kennen, einen gemeinsamen Code findet, mit dem man sich verständigt, dachte Henry. »Amber ist ein großer Bewunderer des deutschen Rieslings.«
»Es ist angesagt, ihn zu bewundern. Über Italiens Weine hat Amber sich auch ausgelassen, ich habe was von ihm über das Piemont gelesen, war gar nicht mal dumm, seine Bewertung der Baroli, über den Vino Nobile von Montepulciano und den Brunello von Montalcino kann ich mitreden.Kein Wein unter fünfundachtzig Punkte, die schlechteren hat er wohl nicht erwähnt. Aber was mich stört – eigentlich habe ich gar nichts zu sagen –, ist Folgendes: Ein einzelner Mann macht sich auf den Weg, probiert, erzählt aller Welt davon, hat einen Sendungsauftrag, und der Kerl entscheidet über Weingüter, über Wohl und Wehe der Kellermeister und Önologen, der Besitzer und ihrer Familien, er macht Preise, stuft die Weingüter so ein, dass sogar die Banken und Investoren darauf abfahren. Na gut, wir haben noch so einen Guru in den USA, der in Bordeaux die Preise nach oben treibt, dass sich nur noch Finanzhaie und Russenmafia so etwas leisten können. Und alle Welt hält diese Bewertungen für das Nonplusultra und macht den Kotau. Wenn man seine Texte analysiert, bemerkt man den Schwindel.«
»Das sagen Sie als Fotograf?«
»Glauben Sie, wir könnten nicht lesen?« Gatow fühlte sich aber nicht persönlich angegriffen. »Ob Amber schwindelt, kann ich nicht beurteilen, aber andere nutzen ihn für ihren Schwindel. Da heißt es dann, dass der Vorjahreswein – leider ist er ausverkauft – fünfundneunzig Amber-Punkte bekommen hat. Der vom Nachbargrundstück habe weiß ich wie viel Punkte bekommen, dann jubiliert er, dass die letzte Ernte die beste war, die jemals eingefahren wurde. War die im Jahr zuvor dann schlecht?«
»Das Publikum entscheidet, wie stark der Beifall ist und wann es mit faulen Tomaten wirft.« Henry machte eine hilflose Geste.
»Ach, Herr …
scusi
, ich habe Sie gar nicht nach Ihrem Namen gefragt.«
Henry schob seinerseits die Visitenkarte über den Tisch, Frank Gatow betrachtete sie aufmerksam. »Also auch Freelancer? Dann sind auch Sie der Meinung, dass nur der harte, schwierige Weg zur Glückseligkeit führt? Sie leben in Barcelona? Ich dachte, Sie kämen aus Rheinhessen, dem Akzent, vielmehr Ihrem Tonfall nach.«
»Ich bin zwar in Ludwigshafen geboren, aber ich lebe seit fünf Jahren in Spanien, entweder bin ich in
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